Power Up

Mikheil Chikhladze | Mevlana Lipp | Sebastian Weggler

Power Up


MEVLANA LIPP
Alles Philosophieren besteht in einem Erinnern des Zustandes, in dem wir einst waren mit der Natur. Friedrich Wilhelm Josef Schelling. Mevlana Lipp (*1989) erforscht in seiner künstlerischen Arbeit die Wahrnehmung des Subjektiven als losgelösten Teil des natürlichen Ganzen. Spielerisch-kritisch hinterfragt er dabei das Konstrukt „Individuum“ mit seinem subjektiven und egozentrischen Erleben der objektiven Umwelt. Die Natur entspricht dabei ganz im Sinne Schellings dem „Inbegriff alles Objektiven“, da sie nur vorstellbar, unbewusst beziehungsweise bewusstlos sei. Die bewusste Wahrnehmung des Subjektiven, welche schlussendlich die Identität des menschlichen Individuums rechtfertigt, steht im morbiden Missverhältnis zur unbewussten Natur. Die romantische Idee des Rückzugs in die Natur als potentielle Genese ist schon jahrhundertealt und überworfen. Vielmehr bewegt sich das zeitgenössische Individuum alienartig über den Planeten und beobachtet Flora und Fauna durch den Plasmabildschirm. Lipp untersucht diesen diskrepanten Zustand zwischen Subjekt und Objekt, zwischen bewusst und unbewusst, zwischen Mensch und Natur und erarbeitet dabei in seiner aktuellen Werkphase künstlerische Reliefs, welche die Entfremdung des Menschen sowie die damit einhergehende künstliche Verformung der Natur durch die Zivilisation in den Vordergrund rücken. Dazu nutzt er bevorzugt auf Holz verweisendes Material, sowie MDF, Arbeitsplatten, Sperrholz oder Furnier. Die Materialwahl verweist bereits konkret auf den zerstörerisch-brutalen Eingriff des Menschen, mutet es doch natürlich schön an und erinnert an Holz, ist dabei aber vielmehr ein aus Klebstoff, geschredderten Holzresten und weiteren Chemikalien zusammengesetztes Kunstprodukt. Dieser absurde Moment, in dem Holz zerstört wird um wiederum zu einem Produkt verarbeitet zu werden, welches Holz gleicht, ist in Lipps Werkreihe doppelt verankert. So nutzt er das Material zunächst, um natürliches Material zu imitieren, um dann noch darüber hinaus das Kunstprodukt in seinem Ursprungszustand zurück zu generieren. Er kreiert dabei virtuose Reliefs, welche an die melancholische Schönheit eines flüchtigen Blicks durch ein Fenster auf eine Wiese oder aber auf eine Pflanze erinnern. So befindet sich das Kunstprodukt zurück in seiner Ursprungsform: die Arbeitsplatte wird zum schweren Blatt einer Monstera Deliciosa (Fensterblatt), das Furnier erinnert an die unendlichen Weiten eines Feldes und das MDF zeigt emblematisch Ausschnitte einer Pflanze als Stellvertreter aller Pflanzen und verweist damit wohl eher auf die Abwesenheit eben dieser.Mevlana Lipp entsinnt in seiner Arbeit tragisch-komisch auf jenen Zustand, in dem wir einst mit der Natur waren und verweist doch durch den Moment des Absurden in seiner Herangehensweise auf die Unwiederbringlichkeit des natürlichen Ganzen. „Postromantisch“ erinnert seine Arbeit an jenen Zustand und weist uns doch zurück als gegenwärtig außerirdisch.

MIKHEIL CHIKHLADZE
Die Malerei von Mikheil Chikhladze entzieht sich jeglicher Kategorisierung, auch wenn sich dem Betrachter der Blick durch ein Kaleidoskop von Zitaten der Kunstgeschichte zu bieten scheint. In unbefangenem Umgang damit sind in seiner mit informellem Duktus ausgeführten Malerei surreal anmutende Szenen mit deutlich narrativen Darstellungen kombiniert, die sich allerdings, Chiffren gleich, einer schnellen Lesart verweigern. So stehen sich zum Beispiel in „Ohne Titel“ von 2014 ein hoch dekorierter Militär mit eindeutig asiatischer Physiognomie und eine auf andere Weise „seriös“ wirkende männliche Figur im Oberhemd mit Krawatte gegenüber: Stellvertreter ihrer Systeme, zweier Welten? Die verheißungsvoll zwischen ihnen einem Kanonenrohr (!) entweichende Allegorie der Weiblichkeit, scheint sie beide in ihren Bann zu ziehen.

Der 1978 in Tiflis/Georgien geborene Mikheil Chikhladze arbeitet empfindsam Erinnerungen an seine Heimat, Ausdeutung von Befindlichkeiten, aber auch gesellschaftskritische Motive subtil und mit einem Spektrum von feinem Humor bis hin zu scharfen Kommentaren in seine Bildwelten ein. Mit pastosem Farbauftrag bearbeitete Leinwandflächen, lassen wiederum fetzenhaft Fragmente eines mehrfach überarbeiteten Ursprungsmotivs durch die Malschichten durchscheinen. Der gesamte Bildraum ist in permanenter Bewegung. So sind auch die immer wieder auftauchenden horizontalen und vertikalen Flächen und Linien nicht nur kompositorisches Stilmittel; führen sie doch einmal aus der Leinwand heraus und heben Bildränder auf, bilden sie bei einem anderen Motiv eine Umklammerung, die Enge evoziert, oder versperren den (Durch)Blick.
In der von Mikheil Chikhladze entwickelten eigenen Bildsprache, seiner unerschöpflichen Experimentierfreudigkeit, spürt man unmittelbar die Mallust eines Künstlers, dem der Umgang mit Fläche und Farbe Impulsgeber ist und nicht Mittel zum Zweck. Die transportierten „Botschaften“, die sich offenbar wie von selbst beim Entstehen heraus zu bilden scheinen, fügen sich verhalten, ja geradezu lautlos in die Gesamtkomposition ein, ohne ihre, vom Künstler intendierte Intensität zu verlieren. Eine über die Farben vermittelte Grundstimmung, greift er dabei ganz bewusst öfter wieder auf.

Katharina Österreicher 

SEBASTIAN WEGGLER
Langsam strichen seine Finger über Nase, Wangenknochen, Lippen und Kinn. Die ausdrucksvollen und doch unveränderlichen Linien versprachen Schutz und Schrecken zugleich. Ihr Zauber weist ihrem Träger einen besonderen Platz im foucaultschen Panoptismus, in jener sich selbst perpetuierenden Welt der Sichtbarkeit zu. Die Blicke der anderen prallen am Äußeren ab, ohne zu ihm selbst vorzudringen. In stillen Momenten wie diesen, beschlich ihn die Angst, dass auch ihm Teile seiner Persönlichkeit entglitten. Mit einem Seufzer zog er sich die Maske über, dachte für einen flüchtigen Moment an Hamlet und verschwand in der Nacht. Viele der Helden und Schurken, die unsere Phantasie anregen, tragen eine Maske. In ihr setzt sich eine jahrtausendealte Tradition fort, die sowohl eine Annäherung an als auch eine Distanzierung vom menschlichen Gesicht als dem Träger von Emotionen und damit als Ausdruck der Persönlichkeit darstellt. Hervorgegangen aus rituellen Handlungen überkreuzen sich in ihnen Enthüllung und Verhüllung. Sie dienen dem Erkennen, der Darstellung und der Kommunikation. Ihr Träger schlüpft in eine Rolle, die Maske verleiht ihm Kräfte. Sie kann als Sinnbild und Verstärker sozialen Rollenverhaltens gesehen werden.
Sebastian Wegglers neuester Werkkomplex ist eine Sammlung von Masken. Sie sind nicht tragbar, ihr Besitzer wird nicht zum Helden oder Schurken, indem er sie sich überstreift. Der Künstler als Maskensammler lädt vielmehr zu einer vielschichtigen Reflexion ein, die weit über popkulturelle Referenzen hinausgeht. Sie stellen einen fröhlichen Ort des Möglichen dar, in dem weniger die tatsächliche Persönlichkeit eines angenommenen Maskenträgers von Interesse ist, als vielmehr die Ästhetik der Maske und ihre Funktion als Kreuzungspunkt und Kippfigur. Im Anschluss an traditionelle Fasnet Schemen handelt es sich bei Sebastian Wegglers Masken um aus Holz geschnitzte Einzelstücke, deren Materialität zum Teil durch eine satte Farbigkeit überdeckt wird. Darüber hinaus verweist die Bezeichnung „Wilde Leute“ auf ein verbreitetes Fasnet-Motiv, das von Weggler aber in einen fantastischen, internationalen Kontext gestellt wird. Weggler spielt liebevoll mit der Stereotype, sowohl der Stereotype der Maske, die bei aller Detailgenauigkeit doch immer eine Vereinfachung und Überformung der Gesichtszüge darstellt, als auch mit der Stereotype der auf Abschreckung zielenden Wildheit. Denn die hier zur Schau gestellte Wildheit, die sich etwa an traditionelle europäische, afrikanische und amerikanische Masken anlehnt und popkulturelle Referenzen miteinschließt, wird von einem hintergründigen Humor gebrochen, der sich in der Ausarbeitung der Details und dem Einsatz der Farbe manifestiert. So wachsen auf dem Kopf eines Zyklopen Blümchen und ein Totenschädel trägt einen Strahlenkranz, der an die Freiheitsstatue denken lässt. Die Farbe selbst ist in ihrer Strahlkraft so satt, dass sie auch einer an Batman erinnernden Maske jene brütende Düsternis nimmt und sie einreiht in eine Art aufdringliche Eleganz, die alle wegglerschen Masken verbindet.
Wer mag schon sagen, ob es sich bei diesen Masken um die von Helden oder Schurken handelt. Diese Zuschreibung bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen. Indem Sebastian Weggler eindeutige Zuschreibungen vermeidet und gleichzeitig auf den Erfahrungsschatz des Betrachters rekurriert, eröffnet er in der Transformation von rituellen, popkulturellen und traditionell kunsthandwerklichen Kontexten einen form- und farbenprächtigen Möglichkeitsraum, der in der ästhetischen Erfahrung Anlass gibt, über die Ästhetik, die Funktion und die Tradition der Maske selbst nachzudenken, der aber auch der Ausgangspunkt für das Spiel der Phantasie des Betrachters sein kann. Insofern erscheinen die hier repräsentierten Masken als Bewahrer eines von ihren Vorgängern ererbten Zaubers, der sich über die Kunst in die Erfahrung einschreibt.
Falls der namenlose Maskenträger in einem Moment der Unachtsamkeit, vielleicht, weil er doch ein wenig zulange über das Verhältnis von Maske und Persönlichkeit nachgedacht hat, von einem nicht ganz so komfortablen Fenstersims gefallen ist, dann können wir uns sicher sein, dass ein verschmitzt lächelnder Künstler die zurückgelassene Maske mitnimmt und seiner Sammlung einverleibt. Nicht als Relikt oder Trophäe, sondern als Katalysator der ästhetischen Erfahrung, in der der Betrachter am Ende noch über seine eigenen Masken nachdenkt.

Julia Gerber

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