Andy Kassier | A new Beginning – Remember the Future

Julia Stell­mann

Andy Kas­sier | A New Beginning

Andy Kas­sier ist erfolg­reich, ver­mö­gend, reich­wei­ten­stark – oder nicht? Auf Maga­zin-Cover und GIF-Bekannt­heit folgt, was fol­gen muss: der Burn-out, ein Selbst­fin­dungs­trip über Spi­ri­tua­li­tät, Yoga und Male­rei. Fin­det sich hier das Glück? Oder lässt es sich ein­ge­backen in Kek­sen kaufen?

In der Gale­rie Fal­ko Alex­an­der ist es Zeit für „A New Begin­ning“. Vor blau­em Him­mel steigt Kas­sier aus der Ver­sen­kung auf, ohne je ganz weg gewe­sen zu sein. Auf voll­ver­chrom­ten Kör­per senkt sich ein Cow­boy­hut, der das blo­ße Haupt bekrönt. Ein ande­res Bild zeigt Kas­sier, der allem Anschein nach in medi­ta­ti­ver Klau­sur tat­säch­lich Erleuch­tung gefun­den hat, sich im Mönchs­ge­wand wie­der welt­li­chen Din­gen zuwen­den kann. Künst­li­che Intel­li­genz bestimmt mitt­ler­wei­le den Zeit­geist, scheint unum­gäng­lich gewor­den, Rea­li­tät und Fik­ti­on las­sen sich kaum noch von­ein­an­der unter­schei­den. Letz­te­res ist immer schon kenn­zeich­nend für Kas­sier, wenn Kunst­fi­gur und Künst­ler eins sind und sich doch nicht glei­chen, sich Gren­zen zwi­schen Kunst und Leben bewusst auflösen.

Iden­ti­tät kre­iert sich in den Augen der Ande­ren, in den sozia­len Medi­en, in ste­reo­ty­pen Rol­len­bil­dern. Auf sei­nem Insta­gram Account eig­net Kas­sier sich die Form­spra­che der Selbst­in­sze­nie­rung an, wer­den Bil­der über­zeich­net und iro­nisch gebro­chen. Man sieht ihn im wei­ßen Hemd auf den Motor­hau­ben teu­rer Autos sit­zen, im Nadel­strei­fen­an­zug Cock­tails schlür­fen, auf wei­ßem Schim­mel über den Strand rei­ten. Dann mit geschlos­se­nen Augen an fri­schem Kohl rie­chen, grü­ne Smoothies trin­ken, sich bei Well­ness ent­span­nen. Doch braucht es Foto­gra­fie in Zei­ten von KI noch, um Iden­ti­tät in Sze­ne zu set­zen? Kas­sier wen­det sich in „A New Begin­ning“ neu­en Aus­drucks­mit­teln zu, gibt sich ange­sichts der Ver­än­de­run­gen gelassen. 

Digi­ta­les über­trägt sich in den rea­len Raum und umge­kehrt. So fin­den sich von KI gene­rier­te Por­träts in Öl auf Lein­wand umge­setzt. Unweit glänzt eine glä­ser­ne Skulp­tur, die dunk­le Ver­si­on eines Glücks­kek­ses. Die von Ein­wan­de­rern in Kali­for­ni­en erfun­de­nen Kek­se mit den ein­ge­backe­nen Sinn­sprü­chen wer­den fern­ab roman­tisch ver­klär­ter Vor­stel­lun­gen voll­stän­dig indu­stri­ell in hoher Stück­zahl gefer­tigt, in Groß­packun­gen an Restau­rants oder Händ­ler gelie­fert. Das ver­meint­lich inne­woh­nen­de Glücks­ver­spre­chen ent­zau­bert sich, sobald die Käufer*innen aus ver­schie­de­nen Sets von stan­dar­di­sier­ten Tex­ten wäh­len können.

Die akku­ra­te Mal­wei­se der Por­träts steht im schein­ba­ren Gegen­satz zu ihrer Ent­ste­hungs­ge­schich­te, zeugt der fei­ne Pin­sel­duk­tus doch gemein­hin von einem auto­nom agie­ren­den Künst­ler­ge­nie. Ähn­lich der indi­vi­du­el­len Wahr­hei­ten in Glücks­kek­sen, die als Mas­sen­wa­re plötz­lich zum Inbe­griff von Kon­sum wer­den. Doch KI und eine Rück­be­sin­nung auf ursprüng­li­che Kräf­te müs­sen sich nicht zwangs­läu­fig aus­schlie­ßen. War­um neue Tech­no­lo­gien nicht als Werk­zeug betrach­ten, das weder posi­tiv noch nega­tiv besetzt ist? Statt­des­sen lie­ber die pro­gram­mie­ren­den Struk­tu­ren dahin­ter kri­tisch in den Blick nehmen.

Eini­ge der Objek­te tra­gen noch den Anhauch der Ver­gan­gen­heit in sich, wir­ken wie Relik­te aus einem prä­di­gi­ta­len Zeit­al­ter. Gleich Bruch­stücken einer fer­nen Rea­li­tät hängt bei­spiels­wei­se dunk­les Kup­fer­blech an der Wand, lie­gen schwe­re Stei­ne als archai­sche Find­lin­ge in der Gale­rie bereit. Sie sind aus Sili­zi­um gefer­tigt, dem Roh­ma­te­ri­al zur Pro­duk­ti­on von Chips im Innern elek­tro­ni­scher Gerä­te. Neon­pink leuch­ten dage­gen geo­me­tri­sche For­men auf wei­ßem Grund, wecken Asso­zia­tio­nen an eine Sand­uhr, bei der Gestern, Heu­te und Mor­gen unun­ter­scheid­bar inein­an­der münden.

Immer wie­der begeg­nen sich die Besucher*innen in der Aus­stel­lung selbst, wer­den von ver­schie­de­nen Ober­flä­chen auf sich zurück­ge­wor­fen. Nicht unüb­lich, sind wir im All­tag doch stän­dig mit unse­rem Spie­gel­bild, in den sozia­len Medi­en mit Sel­fies kon­fron­tiert. Eine Art der Selbst­in­sze­nie­rung, die schon Nar­ziss ins Ver­der­ben stürz­te. Der Spie­gel aber steht sym­bo­lisch nicht nur für Eitel­keit, son­dern auch für Selbst­er­kennt­nis. Wer bin ich wirk­lich? Je nach Stand­punkt ver­än­dert sich der Blick­win­kel auf das tem­po­rär aus­ge­la­ger­te Ich. „REMEMBER THE FUTURE“ steht in gro­ßen Let­tern auf einem der Spie­gel. Müs­sen wir ange­sichts dro­hen­der glo­ba­ler Kata­stro­phen nicht schon im Heu­te ans Mor­gen denken?

In allen Far­ben strah­lend legt sich Kas­siers Sil­hou­et­te mit tief ins Gesicht gezo­ge­nem Hut über die Spie­gel­bil­der der Besucher*innen. Der Cow­boy gilt als Inbe­griff einer ste­reo­ty­pen Auf­fas­sung von Männ­lich­keit. Mas­ku­lin, hart und wild muss ein ech­ter Mann sein. Erkenn­bar an Attri­bu­ten wie Hut, Stie­feln, Pferd und Waf­fe. Aber ist das wirk­lich so? Kas­siers Cow­boy besitzt kei­ne Geni­ta­li­en, erin­nert an den geschlechts­lo­sen Ken oder ist gar Trä­ger ver­schie­de­ner Geschlech­ter. In der Aus­stel­lung ver­schmel­zen schein­bar dia­me­tral ange­leg­te Dua­li­tä­ten, wenn sich run­de, weib­lich gele­se­ne For­men mit ecki­gen, männ­lich kon­no­tier­ten For­men abwech­seln. Viel­leicht braucht es in Zukunft kei­ne stren­ge Dif­fe­ren­zie­rung mehr, gestal­ten sich Gren­zen zuneh­mend flie­ßend. Manch­mal sind die Din­ge bei vor­ge­hal­te­nem Spie­gel ganz anders, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.

Lives and works in Berlin 

Aus­bil­dung / Edu­ca­ti­on
*1989, Ber­lin , Germany2012–2018 Diplo­ma of Media Arts, Aca­de­my of Media Arts, Colo­gne (1,0 with honors) Stu­di­ed under Mischa Kuball and Johan­nes Wohnseifer

SOLO-SHOWS 
2022 read that twice, Weser­hal­le, Ber­lin, DE
2021 never not working, always loving, König Gale­rie, Decen­tra­land, DE
2021 love yours­elf, so you can love others, .art, Linz, AT
2020 palm down, HANZ.studio, Ber­lin, DE
2018 sun­ny side up, Eigen + Art Lab, Ber­lin, DE
2016 the sci­ence of hap­pi­ness, POP;68, Colo­gne, DE
2015 the secret to my suc­cess, Vin­ta­ge Emde, Colo­gne, DE 

GROUP-SHOWS (sel­ec­tion)
2022 Chro­nic­les 5, Gale­rie Dro­ste x KPM Ber­lin, Ber­lin, DE
2022 how to win at pho­to­gra­phy, The Pho­to­graph­ers Gal­lery, Lon­don, GB
2022 In Touch, Ver­ti­cal Cryp­to Art, Ber­lin, DE
2022 Hoch-Zeit, Pro­jekt­raum 145, Ber­lin, DE
2022 re:connect, MaHal­la, Ber­lin, DE
2021 How to Win At Pho­to­gra­phy, Foto­mu­se­um Win­ter­thur, Win­ter­thur, CH
2021 The Sera­pe­um Way, Escape Gal­lery, Cape Town, South Afri­ca
2021 The Artist is Online, König Gale­rie, Ber­lin, D
2021 Lost Places, Bay­er Kul­tur, Lever­ku­sen, DE
2020 Living with the Arts — KaDe­We and Ber­lin Masters Foun­da­ti­on, KaDe­We, Ber­lin, DE
2020 Sta­ging Iden­ti­ty. Bet­ween Mas­quer­a­de, Body Sta­ging and Role Play, Mat­hil­den­hö­he, Darm­stadt, DE
2020 Darm­städ­ter Tage der Foto­gra­fie. Bizar­re Escapes – Humour in Pho­to­gra­phy, Darm­stadt, DE
2019 Link in Bio. Art after Social Media, Muse­um der bil­den­den Kün­ste, Leip­zig, DE
2019 My Fic­tion and You, Bären­zwin­ger, Ber­lin, DE
2019 A Doll ́s Hou­se. My Sel­fie and I — How Woman Por­trait Them­sel­ves in Con­tem­po­ra­ry Art,  Goe­the-Insti­tut, Tif­lis, GE
2019 Schau­lust, Pho­to­fo­rum Pas­quart, Biel, CH
2019 A Doll ́s Hou­se. My Sel­fie and I — How Woman Por­trait Them­sel­ves in Con­tem­po­ra­ry Art, Goe­the-Insti­tut, Baku, AZ
2019 SITUATIONS/porn #175, Foto­mu­se­um Win­ter­thur, CH
2019 Do or Dele­ga­te: Entre­pre­neu­ri­al Means and Pre­ca­rious Ends, Ono­ma­to­pee, Eind­ho­ven, NL
2018 Che­ers, Eigen + Art Lab, Ber­lin, DE
2018 Rue Char­lot, Rutt­kow­ski; 68, Paris, FR
2018 Tan­ge­ri­ne Dreams — RBMA, cura­ted by Johann König, Funk­haus, Ber­lin, DE 2018 New Adven­tures in Vexil­lo­lo­gy #4, Kunst­ver­ein Amrum, DE
2018 fake it, till you make it, Meet­fac­to­ry, Pra­gue, CZ
2018 String Figu­res, Linn Lühn in col­la­bor­ti­on with Mar­kus Lütt­gen, Dues­sel­dorf, DE
2018 On The Inter­net, Nobo­dy Knows You’­re a Per­for­mance Artist,
Andy Kas­sier & Signe Pier­ce Live, NRW-Forum, Dues­sel­dorf, DE 

PRICES AND SCHOLARSHIPS 
2021 Neu­start Kul­tur, Deut­scher Künst­ler­bund, DE
2019 Short­list NRW.BANK Kunst­preis, Düs­sel­dorf, DE
2018 Short­list TOY Ber­lin Masters Award, Ber­lin, DE
2017 Short­list from Sel­fie to Self-Expres­si­on, Saat­chi Gal­lery, Lon­don, GB
2016 Win­ner Gaf­fel-Kölsch-Glas Edi­ti­on for 50th. Art Colo­gne, Colo­gne, DE
2015 Daad Scho­lar­ship, Uni­ver­si­dad Natio­nal, Bogo­tá, CO
2015 St. Moritz Art Aca­de­my Scho­lar­ship, St. Moritz, CH
2015 Tro­pi­cal Lab #9, Lasalle Col­lege of the Arts, Sin­ga­po­re, SG 

PUBLICATION 
2018 Co-edi­tor of the antho­lo­gy “Mind­sta­te Mali­bu. Cri­ti­cism is also just a form of escapism”,