Inside Out

Florian Kuhlmann 

 

Florian Kuhlmann arbeitet seit 2007 als freier Künstler, Autor, Kurator, Programmierer und Projektentwickler in Düsseldorf. Von 2002 bis 2007 studierte er Medienkunst bei Dieter Jung, Dr. Hans Ulrich Reck, Frans Vogelaar und Peter Zimmermann an der KHM in Köln.
Der Schwerpunkt seiner künstlerischen und beruflichen Tätigkeit ist ‚die Digitalität’ und ‚das Netz’ sowie die dadurch neu entstehenden Kontexte. Seit mehr als 15 Jahren beschäftigt er sich auf unterschiedliche Weisen und in verschiedenen Rollen mit den Phänomenen einer zunehmend durch Algorithmen und Software geprägten Wirklichkeit. Neben seiner Arbeit als Künstler und Kurator, betreibt er seit 2010 den Blog perisphere.de und seit Ende des Jahres 2014 den Projektraum #digital3mpire in Düsseldorf, Friedrichstadt. Weite Teile seiner künstlerischen Produktion sind frei im Netz zugänglich, vieles steht unter Creative Commons Lizenzen zum freien Download bereit. Die sich daraus ergebenden Fragen rund um Zugang, Verfügbarkeit, Original/Kopie/Unikat, aber auch um den Wert und die zunehmende Entwertung künstlerischer Produktionen durch die Digitalisierung sind zentrale Leitmotive seines Tuns.

www.floriankuhlmann.com

This is Not – Annekathrin Kohout
Der Netzjargon hat unsere Sprache verändert. Und damit auch die Haltung, die durch sie ausgedrückt wird. 2015 wurde vom Oxford Dictionaries erstmals kein Wort im herkömmlichen Sinne, sondern ein Emotij zum Wort des Jahres gekürt. Mit ihm lässt sich nicht nur schneller, sondern auch mündlicher im Internet kommunizieren. Smileys und Emotjis werden so zur Mimik, zum Unterton oder emotionalen Färbung dessen, was davor oder dahinter geschrieben steht. In vielen Emotjis ist dieser Unterton bereits integriert, so zum Beispiel im „Strebergesicht“ das von sich aus eine Parodie darstellt, indem eine Nerdbrille auf schielende Augen aufgesetzt ist. In anderen Ausdrücken hat sich der jeweilige Unterton erst durch die Verwendungsweisen im Netz ausgebildet. So ist beispielsweise „LOL“ längst nicht mehr nur ein Akronym von Laughing Out Loud, sondern bezeichnet eine ganz bestimmte Art des Lachens. Nämlich ein Lachen über Witze, die nicht lustig sind. Oder ein Lachen über Absurditäten. LOL ist im Grunde mit einem Fragezeichen versehen: LOL? Wer LOL verwendet, kennzeichnet sich damit als (selbst)ironisch.
LOL ist auch eine jener Zeichenkombinationen unserer Internet-Sprache, die Florian Kuhlmann für eine Werkreihe mit dem Titel „this is not a’“ ausgesucht hat. Kuhlmann hat seine Arbeiten 2007 in Second Life präsentiert. Gezeigt wurden dort unter anderem „THE GIFT“, digitale Collagen, die er sowohl frei im Netz zum Download zur Verfügung stellte, als auch in verschiedenen Präsentationsformen – ob als Print oder auf dem Monitor – ausstellte. Was sich dort schon andeutete, radikalisiert sich in späteren Arbeiten: eine Collage aus Tempo, Backofenreiniger, Fußball und Galeriepodest nennt er „in a gallery i couldwould never do this but on internet it’s ok“. Auf einem gerahmten Blatt Papier steht „art looks better on tumblr“ oder einfach #non. Geht es in vielen Arbeiten vordergründig um eine Konfrontation der Kunst mit den Infrastrukturen und neuen Ästhetiken, die das Internet hervorgebracht hat, verbirgt sich dahinter eine Haltung. Und diese Haltung ist keinesfalls eine bloße Antihaltung – gegen den etablierten und immer homogener werdenden Kunstbetrieb und expandierenden Kunstmarkt. Sondern zugleich kommt es immer wieder zu einer Beteuerung der Gegenwartskunst, die sich notwendigerweise durch Werke – materielle Objekte -, die sich auch verkaufen lassen, auszeichnet. Geht es zwar vielen Künstlern nicht mehr um Objekte, wissen sie doch um deren Nachfrage. So auch Kuhlmann, der „this is not a’“ zuerst als Website konzipierte, bevor er ihnen eine Materialist verlieh.
Die deutliche Referenz von „this is not a’“ zu René Magrittes berühmten Bild „La trahison des images“ von 1929 lässt vermuten, dass es sich um eine Erneuerung – ein Update – der ursprünglichen Frage nach dem Verhältnis von Bild, Abbild und Bezeichnung handelt. Doch welcher Art ist dieses Update? Handelt es sich um eine kulturpessimistische Kritik, die auf den Vorwurf der Entfremdung abzielt? Oder reiht es sich in die unzähligen Internet-Mem-Variationen von Magritte-Bildern ein und ist demnach als ironischer Kommentar zur Netz-Kommunikation zu verstehen? Handelt es sich um ernste Besorgnis oder um ein besserwisserisches Grinsen?

Ceci n’est pas une pipe
„Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen.“ (René Magritte) René Magritte war es ernst damit, zu vermitteln, dass das Bild nur ein Bild ist. Und er glaubte daran, dass seine Werke einen wesentlichen Beitrag zur Untersuchung von Ähnlichkeitsbeziehungen leisten können. Zugleich versuchte er in nahezu kindlicher Naivität, dem Alltäglichen und Vertrauten etwas Überraschendes und Mystisches zu verleihen, denn „dasjenige, das der Bedeutung nicht ‚ermangelt‘, ist das Mysterium“, wie er in einem Brief an Michel Foucault im Mai 1966 schreibt. Als er 1929 sein Bild „La trahison des images“ (Der Verrat der Bilder) malte, war der Autor und mit ihm auch der Künstler, den Roland Barthes fast vierzig Jahre später für tot erklären würde, noch sehr lebendig – und schöpferisch. Das Neue und der enthusiastische Glaube an den Fortschritt waren die gängigen Modelle seines Denkens.

Dies ist kein Kunstwerk
Das änderte sich in der Zeit nach der Moderne, für die sich der Begriff „Postmoderne“ durchsetzte. Diese zeichnete sich durch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Bestrebungen nach dem Neuen aus, durch die Absage an die Idee des Künstlers als Schöpfer, durch Nihilismus, Sarkasmus und einem Misstrauen gegenüber den großen Erzählungen der Moderne. In der Theorie, vor allem im Strukturalismus und Poststrukturalismus, nahm man dem Künstler seine Genialität und Autonomie, indem man seine Werke auf ein „Mosaik aus Zitaten“ reduzierte. So beschrieb es Julia Kristeva. Und der Künstler nahm diese Identität an, spielte mit Referenzen, remixte scheinbar unvereinbare Bestandteile unserer Kultur. Die Referenz auf René Magrittes „La trahison des images“ wird zu einer der eindrücklichsten Gesten der Postmoderne. Denn eine von Überlegenheitsgefühlen gefärbte Ironie lässt sich mit dem einst so erhellenden und das Wissen bereichernden Bild besonders gut ausdrücken. Während Magritte als ein Vertreter der Moderne voller Enthusiasmus der Frage nachging, was eigentlich ein Bild sei, wurde jenes Zeichen-Spiel im Zuge postmoderner Diskurse zu einer abgeklärten Formel über Schein und Sein. Selbstverständlich war das Bild keine Pfeife. Genauso wenig wie die Werbung niemals hält, was sie verspricht. Das verlautbart beispielsweise „This is not an Advertisement“ von Antoni Muntadas. Eine Arbeit, die er 1985 am Allied Chemical Building  auf dem Times Square in New York installierte. Ceci n’est pas/Das ist keine/this is not wurde so auch mit einer Haltung verknüpft, die sich durch bissige Ironie auszeichnete.

So meta: nach der postmodernen Ironie
Das Ende der Abgeklärtheit von postmoderner Ironie, Besserwisserei und der Programmatik intertextueller Bezüge in der Kunst wurde in dem Moment eingeleitet, als sie einerseits in die Massenkultur integriert war und damit gewissermaßen zum Stillstand kam, und als sie sich andererseits im Internet mit simplen und kurzen Zeichenkombinationen ausdrücken ließ. Bionade protzte plötzlich mit dem Wissen darum, dass Trends vergänglich sind, und warb prophylaktisch damit, so in zu sein, dass sie schon wieder out ist, dass sie schon wieder in ist. In der Netzkultur wurden aus simplen ASCII-Smileys immer komplexere Bildsprachen, mit denen sich selbstironisch kommunizieren ließ. Das „so meta“-Mem weiß beispielsweise darum, dass alles zu etwas Intellektuellem und Bedeutendem erklärt werden kann: auch Arielle, die Meerjungfrau.
Mit dem Netzjargon wurde all seinen Nutzern auch ein Handwerk zur Seite gestellt, mit dem sich eine vielschichtige Haltung in wenigen Zeichen ausdrücken lässt. Erst waren Smileys oder Emoticons lediglich eine Mimik, die das Gesagte interpretiert. Die Kommunikation über Bilder und Meme macht hingegen immer öfter das Gesagte gänzlich überflüssig.

Die Metamoderne beginnt jetzt
Nun sind die Bilder der „this is not a’“-Serie allein deshalb keine bloße Ironie, weil sie das Zeichenverhältnis, wie es Magritte einst in seinen Bildern beschrieben hat, wieder ernst nehmen. Zwar ist noch immer ein gewisser Humor spürbar, der sich nicht zuletzt durch die Umsetzung – Sprühfarbe und Edding auf Leinwand – in den Vordergrund drängt und dazu beiträgt, die Bilder auch in ihrer gestischen Beiläufigkeit wahrzunehmen. Doch zugleich wird die Haltung einer Künstlergeneration spürbar, die der Kunstkritiker Jerry Saltz 2010 im New York Magazine mit den fiktiven Worten eines Künstlers wie folgt charakterisierte: „I know that the art I’m creating may seem silly, even stupid, or that it might have been done before, but that doesn’t mean this isn’t serious.“
Diese neuartige Verbindung von Ironie und Ernsthaftigkeit ist auch das zentrale Merkmal einer Geisteshaltung, die Robin van der Akker und Timotheus Vermeulen als „metamodern“ bezeichnen. „Auf ontologischer Ebene oszilliert die Metamoderne zwischen Moderne und Postmoderne.“
Sie schwingt zwischen den Polen des Globalen und Lokalen, zwischen Konzept und Material, zwischen postmoderner Ironie und moderner Begeisterung, zwischen Hoffnung und Melancholie, zwischen Naivität und Wissen, Empathie und Apathie, Einheit und Vielheit, Totalität und Fragmentierung, Reinheit und Ambiguität. Das Oszillieren ist aber keine Balance, sondern ein Pendel: „Immer wenn der Enthusiasmus der Metamoderne in Richtung Fanatismus ausschwingt, zieht ihn die Gravitation zurück zur Ironie“.
Etwa so geht es dem Betrachter auch bei „this is not“: denkt man gerade, es handle sich um einen Witz, wird man mit der Ernsthaftigkeit der Konsequenzen unserer Netzkommunikation konfrontiert. Dann wird man von der Schnelllebigkeit der Graffiti-Ästhetik angezogen, in diesem Moment führt einem die Leinwand jedoch wieder den Anspruch auf Dauerhaftigkeit vor. Und wenn das Pendel gerade bei der modernen Ernsthaftigkeit der Magritte-Referenz angekommen ist, wird es von der postmodernen Ironie einer bloßen Wiederholung erfasst.
Nun ist die als metamodern charakterisierte Haltung vieler Künstler der „Post-Internet-Art“ allen voran eine Reaktion. Einerseits auf die noch immerwährende und der Moderne geschuldete Sehnsucht nach Werken und Objekten, die sich gegenwärtig noch immer in den Mechanismen des Kunstmarktes wiederspiegelt. Andererseits auf eine von Hanno Rauterberg und in Unterscheidung zur Mündlichkeit, als „Äuglichkeit“ bezeichnete Erscheinung unserer Netzkultur, die sich beispielsweise in einem Smiley ausdrückt. Wie kann die Kunst diesen Entwicklungen begegnen – ohne die Geschichte der Appropriation Art und des Ready Mades mitzudenken? Vielleicht, indem sie es trotzdem macht. Indem sie so tut, „als ob“ es eine Bestimmung und ein Ziel gibt. Und „als ob“ etwas Neues daraufhin entsteht: jetzt.

> Annekathrin Kohout – So frisch so gut

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