Laura Klünter & Mario Mertgen (Hyperweirdkids)

Fictions of Progress

 

OPENING 28. Apr., 18–20 Uhr
FINISSAGE 3. Juni, 18–20 Uhr

Fic­tions of Pro­gress | Julia Stellmann

hyper­weird­kids

Der Fuß ist in Ket­ten gelegt, schwarz-weiß auf viel­far­bi­gem Grund. Was der Natur ent­sprach, löst sich in Pixel auf, tritt Flo­ra, Fau­na platt, tut sei­ne Stel­lung kund. Knö­chel, Zehen sind errö­tet als wären sie beschämt, wenn bun­te Flü­gel nicht mehr flie­gen, Blu­men Blü­ten­blät­ter wei­nen, bis grü­ne Far­be die Soh­le von unten her bemoost. Wie geht Fort­schritt mit ange­leg­ter Fes­sel? Löst sich Metall, sobald es sich statt über Haut um Pixel legt?

Durch Zei­ten, Rea­li­tä­ten und Fik­tio­nen fal­len die Figu­ren in digi­tal col­la­gier­ten Gemäl­den der hyper­weird­kids Lau­ra Klün­ter und Mario Mert­gen. „Fic­tions of Pro­gress“ ver­setzt fast alt­mei­ster­lich gemal­te Kör­per gleich Zeit­rei­sen­den in eine neue Welt, holt das tra­di­ti­ons­be­la­de­ne Medi­um in die Gegen­wart, spie­gelt eine geschich­te­te Rea­li­tät. Ein Jetzt, das sich in media­ler Über­fül­le, per­ma­nen­ter Gleich­zei­tig­keit ergeht und das suchen­de Ich zur stän­di­gen Neu­po­si­tio­nie­rung in der umge­ben­den Umwelt zwingt. Kalei­do­sko­pisch ange­leg­te Ver­satz­stücke, die aus Bild­ar­chi­ven zitie­ren, sich digi­ta­ler Werk­zeu­ge bedie­nen oder mit­tels KI gene­riert sind, ste­hen nicht los­ge­löst neben­ein­an­der, son­dern fügen sich zu einem neu­en Nar­ra­tiv, schaf­fen ein in sich stim­mi­ges Bild. 

Gleich ein­zel­nen Ebe­nen in Pho­to­shop sit­zen die Gemäl­de auf der Wand, schich­ten sich wie neue Tabs im Brow­ser, gewäh­ren lich­ten Ein­blick durch geöff­ne­te Fen­ster auf dem Desk­top-Hin­ter­grund. Gegen­stän­de wach­sen aus den Bil­dern reli­ef­ar­tig in den Raum, Foli­en blit­zen glit­zernd auf, Icons plop­pen aus dem Form­ver­bund. Anknüp­fend an die Post-Inter­net-Art bedie­nen sich die hyper­weird­kids digi­ta­ler Kul­tur­tech­ni­ken, ver­bleibt ihre Kunst nicht in der digi­ta­len Sphä­re, son­dern wird zurück­ge­führt ins Mate­ri­al, in den phy­si­schen Raum. Zwei­di­men­sio­na­les wird drei­di­men­sio­nal und umge­kehrt, sobald die Betrach­ten­den die Male­rei­en foto­gra­fisch ins Digi­ta­le zurück­füh­ren. Was ist Rea­li­tät und was Fiktion?

Die Venus zie­ren Mus­kel­ber­ge, die wie Geschwü­re aus der Haut wuchern, den Kör­per mit Beu­len über­sät ad absur­dum füh­ren. In Sze­ne gesetzt, in Pose gebracht spie­len die hyper­weird­kids mit Kör­pe­ridea­len, wenn sie – ver­gleich­bar einem über­sti­li­sier­ten Manie­ris­mus – gro­tes­ke Pro­por­tio­nen als digi­ta­le Unstim­mig­kei­ten mit­tels KI gene­rie­ren. Ins Heu­te über­setzt las­sen sich die Figu­ren mit Influen­cern ver­glei­chen, die sich in den sozia­len Medi­en prä­sen­tie­ren, das Ich bis aufs Äußer­ste opti­mie­ren. Nicht mög­lich ist es mit­zu­hal­ten mit tech­no­lo­gi­scher Neue­rung, schnell lässt es sich ver­zwei­feln an schein­bar gefor­der­ter Per­fek­ti­on. So bleibt der idea­le Kör­per heu­te wie gestern eine Illusion.

All­zu Mensch­li­ches, das sich in „Fic­tions of Pro­gress“ for­mu­liert, wenn die Aus­stel­lung gro­ße phi­lo­so­phi­sche Fra­gen tan­giert. Der Mensch geht immer wei­ter, auch wenn unter ihm das Pferd sich sträubt, sich auf­bäumt und den Rei­ter abzu­wer­fen droht. Der Fin­ger weist nach vor­ne, ohne Unter­lass. Wo geht er hin, der Weg? Die Umwelt ver­än­dert sich, nur der Mensch bleibt gleich, ist fleisch­li­ches Relikt in einer neu­en Wirk­lich­keit. Der anti­quier­te Kör­per schmückt sich mit den neu­en Attri­bu­ten, krankt an der Welt oder assi­mi­liert sich, wie der rau­chen­de Rit­ter mit ban­da­gier­ten Füßen. Was aber, wenn das Feu­er, der Ursprung mensch­li­chen Fort­schritts, als Pixel­strah­len durch die Lupe fällt, Men­schen im Digi­ta­len schein­bar näher zusam­men­rücken lässt, doch neu­es Werk­zeug die Umwelt in Brand versetzt?

Die Bil­der öff­nen eman­zi­pa­to­ri­sche Räu­me, hin­ter­fra­gen patri­ar­cha­le Macht­ver­hält­nis­se, den Men­schen als Kro­ne der Schöp­fung. Da ist zum Bei­spiel Leda, die Zeus ent­ge­gen der mytho­lo­gi­schen Erzäh­lung in Ket­ten legt, im gezähm­ten Schwan ein Haus­tier hat und ihn in Form von klei­nen Blit­zen als Schmuck­stück an den Ohren trägt. Oder Pro­me­theus, der gött­li­ches Feu­er stahl, es in einem urde­mo­kra­ti­schen Akt der Mensch­heit brach­te, der Göt­ter­va­ter als Inbe­griff auto­ri­tä­rer Macht ihn jedoch in Form eines Leber fres­sen­den Adlers jeden Tag aufs Neue straf­te. Nicht zuletzt liegt ein moder­ner Ado­nis in durch­schei­nen­de Pop-up-Fen­ster gebet­tet wie in einen Schnee­witt­chen­sarg, mit Grab­bei­la­gen sei­nes ver­gan­ge­nen Lebens, ist sein Selbst­ver­ständ­nis als Ver­tre­ter rück­wärts­ge­wand­ter Wer­te erschüt­tert bis ins Mark.

Es lässt sich bei­na­he zuse­hen, wie die Bil­der laden, als wür­den sie zuvor durch luft­lee­re Räu­me wabern und sich dann fin­den in die­sem einen Augen­blick, dann wie­der ver­schwin­den, das ewi­ge Vor­wärts­drän­gen wei­ter­geht. Sie ver­ei­nen Din­ge, die in ihrer Form chan­gie­ren, gestalt­wand­le­risch vibrie­ren, sich auf­lö­sen, bis sie wie­der eins sind und sich erst in den Betrach­ten­den voll­ends rea­li­sie­ren. Für einen kur­zen Moment aber ist der Wan­del ange­hal­ten, der Fuß in Fes­seln still­ge­legt. Ist es wirk­lich end­lo­ses Wachs­tum, das uns nach vor­ne bringt? Und was, wenn die Ant­wort hin­ter Pixeln ver­bor­gen liegt?