Matthias Danberg | Text
Entgegen einer naiven Kritik des Digitalen, die einen Widerspruch zwischen „real“ und „virtuell“, also eines wirkenden, aber nicht existierenden Zustandes, aufbauen möchte, könnte man auch davon reden, dass die Virtualisierung der Welt, wie wir sie in den letzten Jahren mit zunehmenden Maße spüren, enttäuscht, wie es bisher nur die kopernikanische Wende geschafft hat. Wie Kopernikus den Menschen aus dem Mittelpunkt des Universums verbannte, so verbannt die Virtualität den Menschen aus seiner Welt. Und damit liegt die Idee des Genius Malignus, des bösen Geistes Descartes, der uns glauben macht, wir hätten Sinnesorgane, mit denen man die Außenwelt so wie sie ist wahrnehmen könnte, auf dem Tisch und mit ihr der Beginn des Skeptizismus bezüglich Wissen und Wahrnehmung insgesamt. Mit der Virtualisierung hat der Genius Malignus eine Form gewonnen, die uns symbolisch jeden Tag an die Grenzen der Authentizität führt.
Dieser Authentizität spüren auch Künstler nach, wenn sie, um mit Courbet zu sprechen, die „Sitten, die Ideen, den Anblick unserer Epoche“ in ihre Arbeiten zu pressen versuchen. Und schaut man sich dieses Treiben an, ist wiederum das Bild des Seismographen nicht weit. Der Idee nach soll der Seismograph die Bewegungen der Welt durch Differenzen zu fein gelagerten Massen messen und in eine Form bringen, die uns das Gemessene verständlich machen soll. Vor rund 1600 Jahren brauchte es im alten China dafür ein prinzipiell gleichen Apparat, der sich allerdings nicht durch zitterige Linien oder digitale Zahlen präsentierte, sondern durch Drachen, die Kugeln spuckten und Frösche, die diese Kugeln fraßen und Lieder darüber sangen.
Man umgibt sich also mit den Spuren von Erschütterungen, von deren Existenz man mit endgültiger Sicherheit nicht überzeugt sein kann, aber mit ein wenig Abstand bekommt man einige Bilder zur Hand, die uns helfen, jede Frage zu stellen, jedes Bild zu formen, jedes Objekt zu bauen, jede Geschichte zu erzählen.