Michael Reisch
„Trust in those who supposedly know – MURRAY; DONDIE; REBECCA“
Exhibition: 30. November – 4. Januar
Führung durch die Ausstellung: Sa 7. Dezember, 18 Uhr
Opening: Fr 29. November, 18 Uhr
„Trust in those who supposedly know – MURRAY, DONDIE, REBECCA“
Unmöglich erscheinende Architekturen legen sich in scharfkantige Falten, fluchten in geometrisch anmutenden Verstrebungen gen dramatischen Wolkenhimmel. Ein muskulöser Arm blitzt hervor, schlanke Säulen flankieren einen Portikus, Lorbeerkranz und Kreuz lösen sich herrschaftlich aus dunkelkaltem Untergrund. Der betrachtende Blick fährt durch alternierendes Spiel der Schatten, streicht über die pupillenlosen Augen eines namenlos Porträtierten. Mit undefinierbarem Pathos aufgeladen erinnern die Architekturen an die Bildsprache vergangener Imperien, könnten gleichsam zukünftige Utopien bezeugen. Sie muten wie konkrete Bildnisse von Herrschern, Heroen an, scheinen politische oder religiöse Aussagekraft zu besitzen, verwehren sich zugleich eindeutiger Zuschreibung. Als in Graustufen gefärbte Bilder erhalten die retro-futuristischen Denkmäler beinah dokumentarischen Charakter, bleiben trotzdem zeitlich unbestimmbar.
Vor dem inneren Auge lösen sich vergleichbar einer Google-Suche im Hirn unzählige Referenzbilder aus dem gedanklichen Undunkel, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen und doch keine eindeutigen Lösungen liefern. Denn die mit den tastenden Augen wie mit den Fingern befühlbaren Texturen, Historie imitierenden Bilder oder in den realen Raum überführten Stickereien vermögen es, das Publikum bewusst zu täuschen – und dringen doch darauf, entlarvt zu werden. Denn im Verwirrspiel mit der Wahrnehmung ist das Erkennen von Irritation elementarer Bestandteil der Arbeiten von Künstler Michael Reisch. Plötzlich stören Bruchstellen, Deformationen, Lücken in der bildnerischen Erzählung den unbedarften Blick auf. Fehlerhafte Muster, non-existente Denkmäler, computergesteuert gefertigte Stickereien gestehen ihre digitale Natur ein.
In Reaktion auf digitale Bilderflut und neue bildgebende Verfahren rief Reisch 2010 seinen persönlichen Nullpunkt der Fotografie aus, fand einen referenzlosen Neuanfang innerhalb des Bildbearbeitungsprogramms Photoshop. Mit letzterem kreierte er optische Interferenzen, die er mittels 3D-Druck als materielle Objekte in die fassbare Realität übertrug. Unsichtbare Daten und Algorithmen wandelten sich somit zu dreidimensionalen Skulpturen, welche sich nun von Reisch „traditionell“ fotografieren ließen. Zwei dieser aus sich selbst heraus generierten Fotografien dienten als Grundlage der in der Galerie Falko Alexander präsentierten Arbeiten. Denn die ausgestellten Bilder, welche auf den ersten Blick wie Fotografien von außerbildlichen Objekten anmuten, stellen sich als KI-generiert heraus. In teils mehrstufigem Prozess verwandeln KI-Diffusionsmodelle die eingespeisten Ausgangsbilder mithilfe von ideologisch aufgeladenen Prompts in neues Bildmaterial. Dabei greift die KI auf eine Black Box aus Informationen zurück, in welcher sich wiederum eigene, schwerlich durchschaubare Ideologien verbergen können. KI führt allerdings auf einem neuen Level fort, was bereits durch Bildbearbeitungsprogramme vorgezeichnet war. Reisch interessierte Fotografie immer schon mehr als Medium der Illusion als der Wahrheit.
Was ist wahr und was fake? Was ist Realität und was Illusion? Fragen, die sich angesichts von Falschinformationen, digital manipulierten Inhalten auch im Alltag immer dringlicher stellen. Politisches Denken und Handeln beruft sich ebenso nicht mehr nur auf reine Fakten. Beim Brexit-Referendum 2016 oder US-Präsidentschafts-Wahlkämpfen spielten stattdessen Emotionen eine bedeutendere Rolle als der Anspruch auf Wahrheit. Dazu kommt ein gefühlter Verlust der Glaubwürdigkeit traditioneller Medienberichterstattung. Entsprechend beziehen immer mehr Menschen dank Filterblasen und Echokammer-Effekt einseitige, teils falsche Informationen aus den sozialen Medien. Sollten wir den vermeintlich Wissenden wirklich vertrauen? Und wer sind die vermeintlich Wissenden? Sind es MURRAY, DONDIE und REBECCA? Ihre Namen können eingebettet in den Titel der Ausstellung samt Anführungszeichen innerhalb der Schau entziffert werden. Dabei handelt es sich um drei von der KI ersonnene Figuren, welche ein Gemisch aus Wissen und Fiktion in einer zugehörigen Soundarbeit verlauten lassen. Dafür speiste Reisch die KI mit wissenschaftlich fundierten Texten bzw. Kritik zur Post-Truth-Bewegung aus dem Bereich der Politik- und Kulturwissenschaften, doch antwortete diese – trainiert auf Hollywood-Drehbücher – mit fiktiven Charakteren und Statements, die Reisch zu oft pathetischen sinnentleerten Dialogen und Bedeutungsblasen weiterverarbeitet hat. Anders als zum Beispiel Fotografie agiert die KI zwar auf der Basis von Fakten, produziert aber letztlich fiktionale Erzeugnisse. Eine ganz eigene Art von Logik wohnt diesem Output inne, der wiederum als Fakten wahrgenommen wird.
In der Ausstellung „Trust in those who supposedly know – MURRAY, DONDIE, REBECCA“ bilden zuletzt zahlreiche iPads eine Front aus flimmernden Bildschirmen, auf denen sich generative Videosequenzen im Loop abspielen. Faltenwürfe, Pferde, Skulpturen, Gesichter, Bilder, Symbole, Strukturen sind in gestaltwandlerischem, fluidem Prozess begriffen. Objekte kollabieren, expandieren oder morphen, fügen sich zu unmöglichen Narrativen. In Sekundenbruchteilen wandeln sie sich von Text zu Bild zu Bewegtbild zu Audio, berauben einander ihrer Bedeutung. Gleichzeitig mutieren Fakten zu Fiktion und diese wiederum zu Fakten. Alles ist möglich, sodass Reischs Evolution der Bilder sich eher rhizomatisch als linear beschreiben lässt. Sollten wir wirklich den vermeintlich Wissenden vertrauen?
Text von Julia Stellmann
Michael Reisch, born in 1964, Aachen, Germany, lives and works in Düsseldorf, Germany.
Education
1985 Studio arts program, Stadsacademie voor toegepaste Kunsten, Maastricht, The Netherlands
1986-91 Photography and free art program, Gerrit Rietveld Academie, Amsterdam, Netherlands, Diploma
1991 Studio arts program Kunstakademie Düsseldorf, Germany
Teaching
2004 University Lecturer, Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg, Germany
2012 University Lecturer, „Photography and Digital Media,“ Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Alfter/Bonn, Germany
Since 2013 Professor for „Photography and Digital Media,“ Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Alfter/Bonn, Germany
Prizes and Grants
2007 Grant/Arbeitsstipendium, Stiftung Kunstfonds Bonn
2002 Grant/Projektstipendium, Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW
2001 Förderkoje Art Cologne, Galerie Räume für neue Kunst, Rolf Hengesbach
1990 Artist in Residence, Fondation Cartier, Paris
1989 Prix Cartier Hollandais for photography
Solo Exhibitions
2024 Upcoming: “Trust in those who supposedly know – MURRAY, DONDIE, REBECCA,” Galerie Falko Alexander, Köln
2021 iPhone-series, Roland Barthes_AI, Galerie Falko Alexander, Cologne, Germany
2020 Postnatural, Galerie Falko Alexander, Cologne, Germany (postponed to 2022 due to Corona)
2018 Post-Photographic-Prototyping, Kunstverein Ruhr, Essen, Germany
2018 Present Progressive, Double Solo, Felix Ringel Galerie, Düsseldorf, Germany
2014 Michael Reisch, Scheublein+Bak, Zürich, Switzerland
2013 Selected Works, MKK Museum Kurhaus, Kleve, Germany
2013 Bischoff/Weiss Gallery, London, UK
2013 Hengesbach Gallery, Berlin, Germany
2013 Kunstraum Hengesbach, Wuppertal, Germany
2012 New Works, Peter Lav Gallery, Copenhagen, Denmark
2011 Bischoff/Weiss Gallery, London, UK
2011 Shifting Realities, Scheublein Fine Art, Zürich, Switzerland
2011 New Landscapes, Städtische Galerie Iserlohn, Germany (cat.)
2010 New Landscapes, hengesbach gallery, Berlin, Germany (cat.)
2009 Kunstverein Heinsberg, Germany
2008 Galerie Rolf Hengesbach, Cologne, Germany
2008 Kunstverein Springhornhof, Neuenkirchen, Germany
2008 Städtische Galerie Am Abdinghof Paderborn, Germany (cat.)
2008 Kunsthalle Erfurt, Germany (cat.)
2007 Scottish National Portrait Gallery, Edinburgh, Scotland
2007 Städtische Galerie Wolfsburg, Germany (cat.)
2007 Landesgalerie am Landesmuseum Oberösterreich, Linz, Austria (cat.)
2007 Goethe-Institut Riga, Latvija
2007 Fotoforum West, Innsbruck, Austria (cat.)
2006 Fotomuseum im Stadtmuseum, Munich, Germany (cat.)
2005 Galerie Rolf Hengesbach, Cologne, Germany
2005 Architektur Galerie Berlin – Ulrich Müller, Germany
2005 Kunstverein Konstanz, Germany
2005 Raum für Kunst, Aachen, Germany (cat.)
2003 BABY Gallery, Amsterdam, Netherlands
2003 Galerie Rolf Hengesbach, Cologne, Germany
2002 Architektur Galerie Berlin – Ulrich Müller, Germany
2002 Alte Post, Neuss, Germany (cat.)
2002 Räume für neue Kunst, Rolf Hengesbach, Wuppertal, Germany (cat.)
2001 Räume für neue Kunst, Rolf Hengesbach, Wuppertal, Germany (cat.)
Group Exhibitions
2025 Upcoming: Konstruktion Landschaft, Sprengel Museum Hannover
2024 Welt anschauen Positionen der aktuellen Postfotografie und digitalen Bildkultur, Kunstsammlungen Chemnitz
2024 Darktaxa-project: Phtoograify, Projektbüro DFI e.V., Biennale for Visual and Sonic Media photo+, Düsseldorf
2024 Zwischen weissen Wänden …, PEAC Museum, Freiburg
2024 Space o, Düsseldorf
2023 Darktaxa-project: The Regensburg-constellation, Internationales Festival Fotografischer Bilder, Regensburg
2023 Darktaxa-project: Photography in Progress / Fragile Infrastrukturen, Kunsträume der Michael Horbach Stiftung, Internationale Photoszene Köln
2023 Expect the Unexpected, Kunstmuseum Bonn
2022 Darktaxa-project: The Düsseldorf-constellation, Kunsthalle Düsseldorf, Biennale for Visual and Sonic Media photo+
2022 The Computation of Photography, AFF Berlin
Publications and Books
2021 Upcoming: NoPublication, 1000 pages, with darktaxa-project
2020 NoManifesto, 44 pages, with darktaxa-project
2020 Ohne Titel / Untitled, double-publication
2013 Selected Works, monograph, 96 pages, Kerber Publishers, ISBN 978-3-86678-903-6
2010 New Landscapes, monograph, 100 pages, Hatje Cantz Publishers, Ostfildern, Germany, ISBN: 978-3-7757-2635-1
2006 Michael Reisch, monograph, 124 pages, Hatje Cantz Publishers, Ostfildern, Germany, ISBN-10: 3-7757-1848-6, ISBN-13: 978-3-7757-1848-6
2005 Michael Reisch – Fotografie, Raum für Kunst, Aachen, Germany
2001 Michael Reisch, Räume für neue Kunst, Wuppertal, Germany
Collections
EON AG, Germany
Fotomuseum Winterthur, Switzerland
Kunstmuseum Bonn, Germany
HSBC Trinkaus & Burkhardt, Germany
Kunstraum Alexander Bürkle / PEAC, Freiburg, Germany
LACMA, Los Angeles County Museum of Art, USA
Leung-Collection, Hongkong