Kilian Kretschmer | ON/OFF

ON/OFF


Kili­an Kret­schmer greift in sei­nen Arbei­ten Fra­gen nach dem Wirk­lich­keits­be­zug der Gegen­stän­de und ihrem Ver­hält­nis zu den Gesetz­mä­ßgkei­ten der Wahr­neh­mung auf, die in der Phi­lo­so­phie aus­ge­hend von Pla­tons Höh­len­gleich­nis über Kants Tran­szen­den­tal­phi­lo­so­phie bis hin zum Kon­stuk­ti­vis­mus eines der zen­tra­len, wenn auch unge­lö­sten Pro­ble­me dar­stel­len. Die­se Pro­ble­ma­tik, an der sich Gene­ra­tio­nen von Phi­lo­so­phen und auch Künst­ler abge­ar­bei­tet haben, steht jedoch in der aktu­el­len Situa­ti­on in der media­le Wirk­lich­keits­pro­duk­tio­nen auf den Weg gebracht wer­den, die die Bild­flä­che ver­las­sen und den drei­di­men­sio­na­len Raum erobern, unter einem neu­en Licht. Vor dem Hin­ter­grund der Tat­sa­che, dass durch die Opti­mie­rung von Repro­duk­ti­ons­pro­zes­sen Abbild und Vor­la­ge in naher Zukunft unter Umstän­den nicht mehr unter­scheid­bar sind, war­tet die­se Pro­ble­ma­tik erneut auf Bearbeitung.

Sand
In der Video­in­stal­la­ti­on wird eine Auf­nah­me, die den Künst­ler beim Sand­schau­feln zeigt von­ei­nem Bea­mer auf einen im 45° Win­kel auf­ge­stell­ten, 2m hohen Spie­gel­ku­bus pro­ji­ziert, der das Video zer­teilt und auf die benach­bar­ten Wand­flä­chen des Rau­mes reflek­tiert. Nähert sich der Betrach­ter der gegen­über­lie­gen­den Sei­te des Kubus, setzt sich das zuvor geteil­te Video als Spie­gel­bild Kilian Kretschmer l Galerie Ampersand l Kölnder bei­den Wän­de wie­der zu einem Bild zusam­men. Durch die ste­reo­sko­pe Auf­nah­me­tech­nik bei der mit zwei Kame­ras im Augen­ab­stand gefilmt wur­de, ent­steht der Ein­druck einer drei­di­men­sio­na­len Räum­lich­keit. Kili­an Kret­schmer setzt sich in die­ser Video­in­stal­la­ti­on mit dem Auf­ein­an­der­tref­fen ver­schie­de­ner Ebe­nen von Rea­li­tät und Vir­tua­li­tät aus­ein­an­der. Das abge­film­te Spie­gel­bild eines rea­len Vor­gangs mani­fe­stiert sich, nach­dem es meh­re­re Pro­jek­ti­ons- bzw. Spie­ge­lungs­pro­zes­se durch­lau­fen hat, in Form einer unmög­li­chen Raum­kon­struk­ti­on im Bewusst­sein des Betrach­ters. Der Spie­gel­ku­bus dient hier­bei als Bild­flä­che bzw. Grenz­schicht, durch die der Betrach­ter in den Pro­jek­ti­ons­pro­zess ein­tau­chen kann. Ab einem gewis­sen Punkt der Annä­he­rung löst sich die Gegen­über­stel­lung von Rezi­pi­ent und Dar­stel­lungs­gen­stand zugun­sten eines Wahr­neh­mungs­phä­no­mens auf, das sich nicht mehr im rea­len Raum, son­dern nur noch im Bewusst­sein des Betrach­ters abbil­det. Es ent­steht hier­bei jedoch nicht nur eine 3‑dimensionale Repro­duk­ti­on von Wirk­lich­keit, son­dern ein Raum­ge­bil­de, das die drei Dimen­sio­nen des eukli­di­schen Raum zugun­sten einer unmög­lich Per­spek­ti­vi­tät über­schrei­tet. Die Annä­he­rung an die Wirk­lich­keit durch eine Erwei­te­rung des Wahr­neh­mungs­fel­des um die drit­te Dimen­si­on wird somit durch visu­el­le Stör­ma­nö­ver wie­der durch­bro­chen. Dem künst­le­ri­schen Drang die Wirk­lich­keit so prä­zi­se wie mög­lich nach­zu­ah­men wird der Wunsch ent­ge­gen­ge­setzt Natur­kräf­te zugun­sten einer Bild­rea­li­tät außer Kraft zu set­zen und Din­ge aus dem Nichts ent­ste­hen zu las­sen.
Kret­schmer the­ma­ti­siert in die­ser Arbeit neue­re Ent­wick­lun­gen der raum­grei­fen­den Bild­pro­jek­tio­nen, die den Betrach­ter in einen neu­en Modus des visu­el­len Erle­bens ver­set­zen. Der immersi­ve Pro­zess voll­zieht sich jedoch nicht abrupt, wie beim Auf­set­zen einer 3D-Bril­le, son­dern suk­zes­si­ve durch eine fort­schrei­ten­de Annä­he­rung an die Instal­la­ti­on, in der die kon­struk­ti­ven Mecha­nis­men ihres vir­tu­el­len Erfas­sungs­rau­mes offen­ge­legt werden.

Defekt
Die Arbeit „DEFEKT“ zeigt ein bereits zur Hälf­te zer­stör­tes anti­kes Trink­ge­fäß, wel­ches durch zwei Röh­ren­mo­ni­to­re auf einen Spie­gel pro­ji­ziert wird. Nähert sich der Betrach­ter dem Spie­gel auf sehr kur­ze Distanz, ent­steht auf­grund der ste­reo­sko­pen Auf­nah­me­tech­nik ein drei­di­men­sio­na­les Bild des sich dre­hen­den Objek­tes, wel­ches den Ein­druck ver­mit­telt,Kilian Kretschmer l Galerie Ampersand l Kölndass es aus sich selbst her­aus ent­steht und wie­der auf­löst. Ein auf Funk­tio­na­li­tät hin kon­stru­ier­ter Gebrauchs­ge­gen­stand wird in die­ser Instal­la­ti­on in ein drei­di­men­sio­na­les, vir­tu­el­les Kon­strukt über­führt, das in einer stän­di­gen Trans­for­ma­ti­ons­be­we­gung die Bruch­stel­len sei­nes Zer­falls­pro­zes­ses kom­ple­men­tiert. Kili­an Kret­schmer hin­ter­fragt in sei­ner Arbeit Wahr­neh­mungs­pro­zes­se, die sich einer­seits auf ein real exi­stie­ren­des Arte­fakt ande­rer­seits auf des­sen vir­tu­ell kon­stru­ier­tes Äqui­va­lent bezie­hen. Der zwei Jahr­tau­sen­de über­dau­ern­den Mate­ria­li­tät des rea­len Sky­phos steht eine vir­tu­el­le Rekon­struk­ti­on ent­ge­gen, die über eine kom­ple­xe Ver­suchs­an­ord­nung im Bewusst­sein des Betrach­ters imma­te­ri­ell evo­ziert wird.

 

Fal­ko Bürschinger