Arno Beck — Syntax error

Arno Beck

Syntax Error

Syntax error


Arno Beck ver­bin­det in sei­nen neu­en Arbei­ten Dar­stel­lungs­kon­zep­te ana­lo­ger Repro­duk­ti­ons­tech­ni­ken mit der Ästhe­tik digi­ta­ler Bil­der­zeu­gungs­ver­fah­ren. Zunächst wird die Vor­la­ge, die am Rech­ner erstellt wird, in eine stark ver­ein­fach­te Raster­gra­fik umge­wan­delt, wobei die 32/er Farb­pa­let­te des Game­boy Color als Ori­en­tie­rungs­sy­stem dient. Auf den Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zess, des­sen Sinn und Zweck es ist, das Bild für die druck­tech­ni­schen Gege­ben­hei­ten der Ver­viel­fäl­ti­gungs­ma­schi­nen bzw. die Vor­aus­set­zun­gen der digi­ta­len Über­tra­gung vor­zu­be­rei­ten, folgt jedoch wie­der eine ana­lo­ge Arbeits­pha­se. Die ein­zel­nen Bild­qua­dra­te wer­den von Hand in tau­sen­de gleich gro­ße Holz­stücke zurecht gesägt, die mit einer Druck­wal­ze ein­ge­färbt und zu einem Pixel­mo­sa­ik zusam­men­ge­fügt wer­den. Anschlie­ßend erfolgt ein ein­zel­ner Abdruck auf Japan­pa­pier, wobei auf eine Ver­viel­fäl­ti­gung des Motivs bewusst ver­zich­tet wird. Jeder Druck ist ein Uni­kat. Der Künst­ler greift in den Ablauf eines auf Auto­ma­ti­sie­rung hin aus­ge­rich­te­ten Repro­duk­ti­ons­pro­zes­ses ein und stellt die Spiel­re­geln auf den Kopf. Sobald das Bild für eine maschi­nel­le Wei­ter­ver­ar­bei­tung vor­be­rei­tet ist, erfolgt eine über­ra­schen­de Wen­dung. Es setzt eine Pha­se der mühe­vol­len Hand­ar­beit ein und das Ergeb­nis eines auf seri­el­le Ver­viel­fäl­ti­gung ange­leg­ten Arbeits­pro­zes­ses wird zum Ori­gi­nal. Hand­ar­beit und Digi­ta­li­sie­rung durch­drin­gen sich auf eine unvor­her­ge­se­he­ne Art und Wei­se: die Hand scheint sich gera­de an dem Punkt ein­mi­schen zu wol­len, wo die Maschi­ne ihren Kom­pe­tenz­be­reich für sich bean­sprucht. Die so ent­stan­de­nen Mosa­ik­drucke kon­fron­tie­ren eine Raster­äs­the­tik der digi­ta­len Per­fek­ti­on mit den unge­len­ken Ver­schie­bun­gen und Über­la­ge­run­gen einer ana­lo­gen Umset­zung. Es ent­steht ein Span­nungs­ge­fü­ge zwi­schen geplan­ter Ord­nung und will­kom­me­nen Aus­brü­chen aus einem sta­ti­schen System, die einen leben­di­gen Farb­raum erzeu­gen. Der Zufall ergänzt und erwei­tert das System. Man fühlt sich hier­bei sogleich an die Unre­gel­mä­ßig­kei­ten und Farb­ab­wei­chun­gen in den Sieb­drucken War­hols erin­nert. Die Hand hin­ter­lässt auch in der Imi­ta­ti­on eines maschi­nel­len Pro­zes­ses ihre eige­nen Spu­ren. Wal­ter Ben­ja­min beklag­te bereits in den 30er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts in sei­nem viel zitier­ten Auf­satz „Das Kunst­werk im Zeit­al­ter der Repro­duk­ti­on“ den Ver­fall der Aura des Kunst­wer­kes vor dem Hin­ter­grund sei­ner mas­sen­haf­ten Ver­brei­tung durch Ver­viel­fäl­ti­gun­gen. Ben­ja­min defi­niert die das Kunst­werk umge­ben­de Aura als Zeug­nis einer Ein­ma­lig­keit und einer in sich getra­ge­nen Histo­ri­zi­tät, die durch jeg­li­che Form der Repro­duk­ti­on unter­gra­ben wird. Arno Becks Ver­fah­ren könn­te man als den humor­vol­len Ver­such einer „Re“-Auratisierung des Kunst­werks in Zei­ten der Bild­in­fla­ti­on bezeich­nen. Der qua­dra­ti­sche Farb­pi­xel als Sym­bol der iko­no­gra­fi­schen Indu­stria­li­sie­rung wird müh­sam von Hand zurecht­ge­schnit­ten und mit Far­be ver­se­hen, um in einem auf­wen­di­gen Holz­druck­ver­fah­ren ein Uni­kat zu erzeu­gen, was dem Grund­prin­zip der Druck­tech­nik völ­lig wider­spricht. Zusam­men mit den Holz­drucken ent­steht eine Serie an Schreib­ma­schi­nen­gra­fi­ken in einer ähn­li­chen Moti­vik. Nach­dem ein Schreib­ma­schi­nen­blatt durch ein Raster aus „+“-Zei­chen vor­struk­tu­riert wur­de, beginnt die Umset­zung des Motivs durch die Ver­wen­dung von sechs ver­schie­de­nen Buch­sta­ben und Zei­chen, die einen jeweils eige­nen Hel­lig­keits­wert erzeu­gen, der jedoch, ähn­lich wie beim Kla­vier, durch die Här­te des Anschlags vari­iert wer­den kann. Die Buch­sta­ben­par­ti­tu­ren wer­den als Edi­ti­on von jeweils 10 Exem­pla­ren umge­setzt, wobei jedes ein­zel­ne Blatt von Hand neu ein­ge­tippt und somit auch zu einem Uni­kat wird. Wie bei den Holz­drucken ver­sucht der Künst­ler sich bei der Umset­zung des Motivs bewusst Stei­ne in den Weg zu legen, indem er ein aus­ran­gier­tes Relikt der Text­ge­stal­tung zur Dar­stel­lung einer Gra­fik ver­wen­det. Doch auch hier ent­steht ein Ergeb­nis, mit einer völ­lig eige­nen Ästhe­tik in einem Span­nungs­feld zwi­schen sub­jek­ti­vem Aus­druck und vor­struk­tu­rier­ter Ord­nung. Arno Beck bestrei­tet in bei­den Seri­en einen außer­ge­wöhn­li­chen Weg. In einer Zeit der infla­tio­nä­ren Erzeu­gung und Ver­brei­tung von digi­ta­len Bil­dern stellt er das Prin­zip der Repro­duk­ti­on auf den Kopf und Infrage.

Fal­ko Bürschinger

 

 


Hydroponic Forms — 8 artists from L. A.

Hydroponic Forms — Eight artists from Los Angeles

Brian Bress | Josh Callaghan | Michael Decker  | Sean Higgins  | Amanda Ross-Ho | Bas Louter | Fay Ray | Eric Yahnker

Hydroponic Forms / Eight Artists from Los Angeles


Press text
Hydro­po­nic Forms brings tog­e­ther eight artists who emer­ge out of the deli­ca­te cul­tu­ral eco­sy­stem of con­tem­po­ra­ry Los Ange­les. Hydro­po­nic agri­cul­tu­re is a means to sup­port plant life on a careful­ly com­po­sed liquid diet of nut­ri­ents and water wit­hout soil. The tech­no­lo­gy allo­ws you to grow plants in places that wouldn’t other­wi­se sus­tain life; warehou­ses, spa­re bed­rooms, gara­ges and clo­sets for exam­p­le. Art in Los Ange­les grows in simi­lar mar­gi­nal spaces fed by a nut­ri­ti­ve stream that is har­der to che­mical­ly iden­ti­fy, but likely con­ta­ins ele­ments of obses­si­ve com­pul­si­ve beha­vi­ors and the­ra­peu­tic han­di­craft; cele­bri­ty wor­ship, cul­tu­ral det­ri­tus and pro­fun­di­ty through super­fi­ci­a­li­ty; and a vola­ti­le com­pound of self-loathing and mega­lo­ma­nia. Given time and space the­se plants can bear flowers, even fruit.

Pres­se­text
Die Gale­rie amper­sand zeigt zu den DC-Open 2016 in der Grup­pen­aus­stel­lung „Hydro­po­nic Forms“ acht jun­ge Künst­ler aus Los Ange­les. Der Begriff Hydro­po­nic stammt aus der Bota­nik und bezeich­net ein Kul­ti­vie­rungs­sy­stem für Pflan­zen in Innen­räu­men, das das Wachs­tum durch künst­li­che Nähr­stoff­zu­fuhr und Beleuch­tung opti­mie­ren soll. Die­ses Bild einer kon­trol­lier­ten Imi­ta­ti­on natür­li­cher Pro­zes­se steht stell­ver­tre­tend für die Hal­tung einer jun­ge Künst­ler­ge­nera­ti­on, die in der arti­fi­zi­el­len Atmo­sphä­re der Kunst­me­tro­po­le Los Ange­les Lebens­sur­ro­ga­te auf­saugt, um aus ihnen Kunst zu produzieren.


PLAY/II Video- & Performance Festival

PLAY/ll — Video- & Performance Festival


PHILIPP ARTUSMATTHIAS DANBERGFELIPE CASTELBLANCOANGELIKA HERTAKILIAN KRETSCHMERMEVLANA LIPPLUKAS MARXTPETER MILLERLUKAS PUSCHREUT SHEMESHVANJA SMILJANICADAM SCARBOROUGHSOUVENIRS FROM EARTH

PLAY/ll


Das Video- und Per­for­mance-Festi­val Play wur­de von den Ver­an­stal­tern Gale­rie amper­sand und CAT Colo­gne 2013 mit der Ziel­set­zung gegrün­det die regio­na­le Video-Kunst­sze­ne mit dem Schwer­punkt Köln/Düsseldorf zu stär­ken und die­ser ein Aus­stel­lungs­fo­rum zu bie­ten. Das Festi­val fin­det als Bien­na­le alle zwei Jah­re unter ver­schie­de­nen Schwer­punkt­set­zun­gen statt. Der Festi­val­ti­tel „Play“ ver­weist in sei­ner Mehr­fach­be­deu­tung einer­seits auf die Play-Taste der Video-Abspiel­ge­rä­te ande­rer­seits aber auch auf das Thea­ter­stück, wel­ches das genea­lo­gi­sche Bin­de­glied zwi­schen Video- und Per­for­mance­kunst dar­stellt. Zudem ver­steht sich der Festi­val­ti­tel „Play“ auch als Auf­for­de­rung zum Spie­len und somit als gen­re­über­grei­fen­der künst­le­ri­scher Imperativ.
Der Schwer­punkt der Künst­ler­aus­wahl liegt auf regio­na­len Posi­tio­nen, die jedoch durch über­re­gio­na­le Posi­tio­nen ergänzt wer­den, sofern über den Künst­ler oder die Arbeit ein Bezug zur Regi­on erkenn­bar wird. Ziel ist es hier­bei die Düs­sel­dor­fer und Köl­ner Video­kunst­sze­ne näher zusam­men­zu­brin­gen und stär­ker zu ver­net­zen. Das Rhein­land, ins­be­son­de­re Köln und Düs­sel­dorf spiel­ten für die Ent­wick­lung der Video- und auch Per­for­mance-Kunst eine bedeu­ten­de Rol­le. Künst­ler wie Ulri­ke Rosen­bach, Nam June Paik, Mar­cel Oden­bach und Klaus von Bruch waren Anfang der 70er Jah­re in der Regi­on künst­le­risch aktiv und wur­den in Köl­ner und Düs­sel­dor­fer Gale­rien aus­ge­stellt. Die enor­me Bedeu­tung des Rhein­lands für die Ent­wick­lung die­ser Kunst­for­men ist außer­halb der Kunst­sze­ne jedoch kaum bekannt. Eine Stär­kung der regio­na­len Video­kunst-Sze­ne soll auch dazu füh­ren, dass Bewusst­sein stär­ker auf die regio­na­le Tra­di­ti­on im Bereich der Ent­wick­lung der Neu­en Medi­en zu lenken.


Power Up | Groupshow

Power Up

Mikheil Chikhladze | Mevlana Lipp | Sebastian Weggler

Power Up


MEVLANA LIPP
Alles Phi­lo­so­phie­ren besteht in einem Erin­nern des Zustan­des, in dem wir einst waren mit der Natur. Fried­rich Wil­helm Josef Schel­ling. Mev­la­na Lipp (*1989) erforscht in sei­ner künst­le­ri­schen Arbeit die Wahr­neh­mung des Sub­jek­ti­ven als los­ge­lö­sten Teil des natür­li­chen Gan­zen. Spie­le­risch-kri­tisch hin­ter­fragt er dabei das Kon­strukt „Indi­vi­du­um“ mit sei­nem sub­jek­ti­ven und ego­zen­tri­schen Erle­ben der objek­ti­ven Umwelt. Die Natur ent­spricht dabei ganz im Sin­ne Schel­lings dem „Inbe­griff alles Objek­ti­ven“, da sie nur vor­stell­bar, unbe­wusst bezie­hungs­wei­se bewusst­los sei. Die bewuss­te Wahr­neh­mung des Sub­jek­ti­ven, wel­che schluss­end­lich die Iden­ti­tät des mensch­li­chen Indi­vi­du­ums recht­fer­tigt, steht im mor­bi­den Miss­ver­hält­nis zur unbe­wuss­ten Natur. Die roman­ti­sche Idee des Rück­zugs in die Natur als poten­ti­el­le Gene­se ist schon jahr­hun­der­te­alt und über­wor­fen. Viel­mehr bewegt sich das zeit­ge­nös­si­sche Indi­vi­du­um ali­en­ar­tig über den Pla­ne­ten und beob­ach­tet Flo­ra und Fau­na durch den Plas­ma­bild­schirm. Lipp unter­sucht die­sen dis­kre­pan­ten Zustand zwi­schen Sub­jekt und Objekt, zwi­schen bewusst und unbe­wusst, zwi­schen Mensch und Natur und erar­bei­tet dabei in sei­ner aktu­el­len Werk­pha­se künst­le­ri­sche Reli­efs, wel­che die Ent­frem­dung des Men­schen sowie die damit ein­her­ge­hen­de künst­li­che Ver­for­mung der Natur durch die Zivi­li­sa­ti­on in den Vor­der­grund rücken. Dazu nutzt er bevor­zugt auf Holz ver­wei­sen­des Mate­ri­al, sowie MDF, Arbeits­plat­ten, Sperr­holz oder Fur­nier. Die Mate­ri­al­wahl ver­weist bereits kon­kret auf den zer­stö­re­risch-bru­ta­len Ein­griff des Men­schen, mutet es doch natür­lich schön an und erin­nert an Holz, ist dabei aber viel­mehr ein aus Kleb­stoff, geschred­der­ten Holz­re­sten und wei­te­ren Che­mi­ka­li­en zusam­men­ge­setz­tes Kunst­pro­dukt. Die­ser absur­de Moment, in dem Holz zer­stört wird um wie­der­um zu einem Pro­dukt ver­ar­bei­tet zu wer­den, wel­ches Holz gleicht, ist in Lipps Werk­rei­he dop­pelt ver­an­kert. So nutzt er das Mate­ri­al zunächst, um natür­li­ches Mate­ri­al zu imi­tie­ren, um dann noch dar­über hin­aus das Kunst­pro­dukt in sei­nem Ursprungs­zu­stand zurück zu gene­rie­ren. Er kre­iert dabei vir­tuo­se Reli­efs, wel­che an die melan­cho­li­sche Schön­heit eines flüch­ti­gen Blicks durch ein Fen­ster auf eine Wie­se oder aber auf eine Pflan­ze erin­nern. So befin­det sich das Kunst­pro­dukt zurück in sei­ner Ursprungs­form: die Arbeits­plat­te wird zum schwe­ren Blatt einer Mon­stera Deli­cio­sa (Fen­ster­blatt), das Fur­nier erin­nert an die unend­li­chen Wei­ten eines Fel­des und das MDF zeigt emble­ma­tisch Aus­schnit­te einer Pflan­ze als Stell­ver­tre­ter aller Pflan­zen und ver­weist damit wohl eher auf die Abwe­sen­heit eben dieser.Mevlana Lipp ent­sinnt in sei­ner Arbeit tra­gisch-komisch auf jenen Zustand, in dem wir einst mit der Natur waren und ver­weist doch durch den Moment des Absur­den in sei­ner Her­an­ge­hens­wei­se auf die Unwie­der­bring­lich­keit des natür­li­chen Gan­zen. „Postro­man­tisch“ erin­nert sei­ne Arbeit an jenen Zustand und weist uns doch zurück als gegen­wär­tig außerirdisch.

MIKHEIL CHIKHLADZE
Die Male­rei von Mik­heil Chikhlad­ze ent­zieht sich jeg­li­cher Kate­go­ri­sie­rung, auch wenn sich dem Betrach­ter der Blick durch ein Kalei­do­skop von Zita­ten der Kunst­ge­schich­te zu bie­ten scheint. In unbe­fan­ge­nem Umgang damit sind in sei­ner mit infor­mel­lem Duk­tus aus­ge­führ­ten Male­rei sur­re­al anmu­ten­de Sze­nen mit deut­lich nar­ra­ti­ven Dar­stel­lun­gen kom­bi­niert, die sich aller­dings, Chif­fren gleich, einer schnel­len Les­art ver­wei­gern. So ste­hen sich zum Bei­spiel in „Ohne Titel“ von 2014 ein hoch deko­rier­ter Mili­tär mit ein­deu­tig asia­ti­scher Phy­sio­gno­mie und eine auf ande­re Wei­se „seri­ös“ wir­ken­de männ­li­che Figur im Ober­hemd mit Kra­wat­te gegen­über: Stell­ver­tre­ter ihrer Syste­me, zwei­er Wel­ten? Die ver­hei­ßungs­voll zwi­schen ihnen einem Kano­nen­rohr (!) ent­wei­chen­de Alle­go­rie der Weib­lich­keit, scheint sie bei­de in ihren Bann zu ziehen.

Der 1978 in Tiflis/Georgien gebo­re­ne Mik­heil Chikhlad­ze arbei­tet emp­find­sam Erin­ne­run­gen an sei­ne Hei­mat, Aus­deu­tung von Befind­lich­kei­ten, aber auch gesell­schafts­kri­ti­sche Moti­ve sub­til und mit einem Spek­trum von fei­nem Humor bis hin zu schar­fen Kom­men­ta­ren in sei­ne Bild­wel­ten ein. Mit pasto­sem Farb­auf­trag bear­bei­te­te Lein­wand­flä­chen, las­sen wie­der­um fet­zen­haft Frag­men­te eines mehr­fach über­ar­bei­te­ten Ursprungs­mo­tivs durch die Mal­schich­ten durch­schei­nen. Der gesam­te Bild­raum ist in per­ma­nen­ter Bewe­gung. So sind auch die immer wie­der auf­tau­chen­den hori­zon­ta­len und ver­ti­ka­len Flä­chen und Lini­en nicht nur kom­po­si­to­ri­sches Stil­mit­tel; füh­ren sie doch ein­mal aus der Lein­wand her­aus und heben Bild­rän­der auf, bil­den sie bei einem ande­ren Motiv eine Umklam­me­rung, die Enge evo­ziert, oder ver­sper­ren den (Durch)Blick.
In der von Mik­heil Chikhlad­ze ent­wickel­ten eige­nen Bild­spra­che, sei­ner uner­schöpf­li­chen Expe­ri­men­tier­freu­dig­keit, spürt man unmit­tel­bar die Mal­lust eines Künst­lers, dem der Umgang mit Flä­che und Far­be Impuls­ge­ber ist und nicht Mit­tel zum Zweck. Die trans­por­tier­ten „Bot­schaf­ten“, die sich offen­bar wie von selbst beim Ent­ste­hen her­aus zu bil­den schei­nen, fügen sich ver­hal­ten, ja gera­de­zu laut­los in die Gesamt­kom­po­si­ti­on ein, ohne ihre, vom Künst­ler inten­dier­te Inten­si­tät zu ver­lie­ren. Eine über die Far­ben ver­mit­tel­te Grund­stim­mung, greift er dabei ganz bewusst öfter wie­der auf.

Katha­ri­na Österreicher 

SEBASTIAN WEGGLER
Lang­sam stri­chen sei­ne Fin­ger über Nase, Wan­gen­kno­chen, Lip­pen und Kinn. Die aus­drucks­vol­len und doch unver­än­der­li­chen Lini­en ver­spra­chen Schutz und Schrecken zugleich. Ihr Zau­ber weist ihrem Trä­ger einen beson­de­ren Platz im fou­cault­schen Pan­op­tis­mus, in jener sich selbst per­p­etu­ie­ren­den Welt der Sicht­bar­keit zu. Die Blicke der ande­ren pral­len am Äuße­ren ab, ohne zu ihm selbst vor­zu­drin­gen. In stil­len Momen­ten wie die­sen, beschlich ihn die Angst, dass auch ihm Tei­le sei­ner Per­sön­lich­keit ent­glit­ten. Mit einem Seuf­zer zog er sich die Mas­ke über, dach­te für einen flüch­ti­gen Moment an Ham­let und ver­schwand in der Nacht. Vie­le der Hel­den und Schur­ken, die unse­re Phan­ta­sie anre­gen, tra­gen eine Mas­ke. In ihr setzt sich eine jahr­tau­sen­de­al­te Tra­di­ti­on fort, die sowohl eine Annä­he­rung an als auch eine Distan­zie­rung vom mensch­li­chen Gesicht als dem Trä­ger von Emo­tio­nen und damit als Aus­druck der Per­sön­lich­keit dar­stellt. Her­vor­ge­gan­gen aus ritu­el­len Hand­lun­gen über­kreu­zen sich in ihnen Ent­hül­lung und Ver­hül­lung. Sie die­nen dem Erken­nen, der Dar­stel­lung und der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ihr Trä­ger schlüpft in eine Rol­le, die Mas­ke ver­leiht ihm Kräf­te. Sie kann als Sinn­bild und Ver­stär­ker sozia­len Rol­len­ver­hal­tens gese­hen wer­den.
Seba­sti­an Wegglers neue­ster Werk­kom­plex ist eine Samm­lung von Mas­ken. Sie sind nicht trag­bar, ihr Besit­zer wird nicht zum Hel­den oder Schur­ken, indem er sie sich über­streift. Der Künst­ler als Mas­ken­samm­ler lädt viel­mehr zu einer viel­schich­ti­gen Refle­xi­on ein, die weit über pop­kul­tu­rel­le Refe­ren­zen hin­aus­geht. Sie stel­len einen fröh­li­chen Ort des Mög­li­chen dar, in dem weni­ger die tat­säch­li­che Per­sön­lich­keit eines ange­nom­me­nen Mas­ken­trä­gers von Inter­es­se ist, als viel­mehr die Ästhe­tik der Mas­ke und ihre Funk­ti­on als Kreu­zungs­punkt und Kipp­fi­gur. Im Anschluss an tra­di­tio­nel­le Fas­net Sche­men han­delt es sich bei Seba­sti­an Wegglers Mas­ken um aus Holz geschnitz­te Ein­zel­stücke, deren Mate­ria­li­tät zum Teil durch eine sat­te Far­big­keit über­deckt wird. Dar­über hin­aus ver­weist die Bezeich­nung „Wil­de Leu­te“ auf ein ver­brei­te­tes Fas­net-Motiv, das von Weggler aber in einen fan­ta­sti­schen, inter­na­tio­na­len Kon­text gestellt wird. Weggler spielt lie­be­voll mit der Ste­reo­ty­pe, sowohl der Ste­reo­ty­pe der Mas­ke, die bei aller Detail­ge­nau­ig­keit doch immer eine Ver­ein­fa­chung und Über­for­mung der Gesichts­zü­ge dar­stellt, als auch mit der Ste­reo­ty­pe der auf Abschreckung zie­len­den Wild­heit. Denn die hier zur Schau gestell­te Wild­heit, die sich etwa an tra­di­tio­nel­le euro­päi­sche, afri­ka­ni­sche und ame­ri­ka­ni­sche Mas­ken anlehnt und pop­kul­tu­rel­le Refe­ren­zen mit­ein­schließt, wird von einem hin­ter­grün­di­gen Humor gebro­chen, der sich in der Aus­ar­bei­tung der Details und dem Ein­satz der Far­be mani­fe­stiert. So wach­sen auf dem Kopf eines Zyklo­pen Blüm­chen und ein Toten­schä­del trägt einen Strah­len­kranz, der an die Frei­heits­sta­tue den­ken lässt. Die Far­be selbst ist in ihrer Strahl­kraft so satt, dass sie auch einer an Bat­man erin­nern­den Mas­ke jene brü­ten­de Düster­nis nimmt und sie ein­reiht in eine Art auf­dring­li­che Ele­ganz, die alle weggler­schen Mas­ken ver­bin­det.
Wer mag schon sagen, ob es sich bei die­sen Mas­ken um die von Hel­den oder Schur­ken han­delt. Die­se Zuschrei­bung bleibt der Phan­ta­sie des Betrach­ters über­las­sen. Indem Seba­sti­an Weggler ein­deu­ti­ge Zuschrei­bun­gen ver­mei­det und gleich­zei­tig auf den Erfah­rungs­schatz des Betrach­ters rekur­riert, eröff­net er in der Trans­for­ma­ti­on von ritu­el­len, pop­kul­tu­rel­len und tra­di­tio­nell kunst­hand­werk­li­chen Kon­tex­ten einen form- und far­ben­präch­ti­gen Mög­lich­keits­raum, der in der ästhe­ti­schen Erfah­rung Anlass gibt, über die Ästhe­tik, die Funk­ti­on und die Tra­di­ti­on der Mas­ke selbst nach­zu­den­ken, der aber auch der Aus­gangs­punkt für das Spiel der Phan­ta­sie des Betrach­ters sein kann. Inso­fern erschei­nen die hier reprä­sen­tier­ten Mas­ken als Bewah­rer eines von ihren Vor­gän­gern ererb­ten Zau­bers, der sich über die Kunst in die Erfah­rung ein­schreibt.
Falls der namen­lo­se Mas­ken­trä­ger in einem Moment der Unacht­sam­keit, viel­leicht, weil er doch ein wenig zulan­ge über das Ver­hält­nis von Mas­ke und Per­sön­lich­keit nach­ge­dacht hat, von einem nicht ganz so kom­for­ta­blen Fen­ster­sims gefal­len ist, dann kön­nen wir uns sicher sein, dass ein ver­schmitzt lächeln­der Künst­ler die zurück­ge­las­se­ne Mas­ke mit­nimmt und sei­ner Samm­lung ein­ver­leibt. Nicht als Relikt oder Tro­phäe, son­dern als Kata­ly­sa­tor der ästhe­ti­schen Erfah­rung, in der der Betrach­ter am Ende noch über sei­ne eige­nen Mas­ken nachdenkt.

Julia Ger­ber