Störgrösse (AAWNK)

DC-Open 2020 | Tim Berresheim

DC OPEN 2020

Exhibition: 4. September – 24. Oktober
Opening: Fr 4. September, 18 Uhr
Finissage: Sa 24. Oktober, 18 Uhr

Störgrösse (AAWNK)
Seit die weltweite Covid-19-Pandemie auch große Teile des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens beeinträchtigt, mehren sich die Online-Angebote von Ausstellungsräumen, Museen, Galerien, Messen und nicht zuletzt auch Künstler*innen. Die Forderung nach Digitalisierung bestimmt auch dort die Agenden des Handelns, wo die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bisher konsequent verschlafen wurden. Auf allen Kanälen wird gesendet, um „die Kunst“ nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Virtuelle Galerierundgänge präsentieren digitale Reproduktionen von Kunstwerken und Vermittlungsprogramme bis hin zu gestreamten Eröffnungen – begleitet meist vom obligatorischen Hinweis auf die Unersetzbarkeit der ästhetischen Erfahrung von Originalen. Gezeigt wird häufig „Art as usual“ in der vollendeten Anonymität eines virtuellen White Cubes oder vor ebenso musealen wie kontemplativen Kulissen, die die Sehnsucht nach dem „wahren“ Genius Loci wachhalten sollen. Doch wird dies auch nachhaltig den Umgang mit Kunst verändern?

Im Kunstfeld ist „der Computer“ immer noch eine Störgröße; ein unbestimmter Umwelteinfluss – eine Abweichung, die zwar wahrgenommen, und doch aber so lange ignoriert wird, bis das Problem auf eine bekannte Lösung reduziert werden kann. Noch brechen die (nicht mehr ganz so aktuellen) Konjunkturen von Post-Internet bis Post-Photography die subsummierten künstlerischen Positionen auf Relationen einer unspezifischen „digitalen Gegenwart“ und ihrer kunsthistorischen Vorgeschichte in Malerei, Skulptur, Fotografie, Collage etc. herunter. Die Kritik an der modernen Festschreibung von Kunst auf die materiellen Bedingungen, Gattungen, Genres innerhalb einer starren Medienspezifik birgt die Gefahr, entgrenzte Bildproduktionen wieder in der Logik eines „als-ob“ einzuhegen. Malerei, Fotografie, Collage etc. werden so wiederum leicht zu Beschreibungskategorien, die „neue Medien“ auf „Vorbilder“ zurückführen und Differenzen übersehen. Eine Kunstgeschichte computergenerierter Kunst seit den 1960er Jahren ist hingegen noch nicht ausreichend erzählt worden. 

Tim Berresheim gehört seit Beginn der 2000er Jahre zu den international treibenden Kräften der computerbasierten Kunst. In seinen digital generierten Modellen gegenwärtiger visueller Kulturen, mit all ihren hybriden Versatzstücken aus der Kunst- und Bildgeschichte, lotet er immanente Gestaltungsspielräume, Bedeutungen und Möglichkeiten für eine künftige künstlerische Praxis aus. Auf dem jeweils aktuellsten Stand des technisch Machbaren sucht er immer neue Bildfindungen. In seinen künstlerischen Forschungen verbinden sich Hightech und eine DIY-Mentalität, die bereits die frühen Computer-Art-Pionier*innen der Sechzigerjahre oder des Homebrew Computer Club auszeichneten. Seine künstlerische Archäologie der Gegenwart durchstreift die Archive des Bestehenden, um in der Aneignung und Transformation dieses Materials auf zukunftsweisende Potenziale zu spekulieren. Künstlerische Praxis wird so zum andauernden Lernprozess. Die Qualitäten neuer Medien zeigen sich in der Auseinandersetzung mit älteren – wie schon Marshall McLuhan wusste. 

Wenn Berresheim jedoch Laserscanner für seine komplexen Bildkompositionen einsetzt, so wirft dies auch ein verändertes Licht auf die wörtliche Bedeutung von Fotografie – im Sinne einer Zeichnung mit Licht. Anstelle einer medienspezifischen Ästhetik des Laserscans oder der Computergrafik ermöglichen seine Arbeiten Reflektionen des symbolischen Bestands der kunsthistorischen Traditionen, die auch die gegenwärtige Wahrnehmung noch prägen und deren inhärente Störgrößen spekulative Spielräume für systematische Weiterentwicklungen bieten. Während Fotografie – analog wie digital – immer auch eine unbestimmte Menge an Umgebungslicht, Schatten und Bildrauschen mit aufnimmt, zielt der Laserscanner auf jedes einzelne Teilchen im Raum. Ein Quantensprung, da nun Wellen und Teilchen bildgebend sind und am Computer punktgenau in Pointclouds dargestellt werden können. Gegenüber den primären Gestaltungsmöglichkeiten von Blende, Belichtungszeit und Weißabgleich der Fotografie ist dies ein enormer Zugewinn an Detailgenauigkeit und Bildkontrolle, die Berresheim nicht zur Perfektion treibt, sondern als Prozess der Bildproduktion mit all seinen wiederum spezifischen Störungen sichtbar werden lässt. Mit der Erweiterung der technischen Möglichkeiten ergibt sich auch ein Raum, in dem an den tradierten Sehweisen, Darstellungskonventionen und Beschreibungen gearbeitet werden kann. Durch seine immer wiederkehrenden Bildmotive spielt Berresheim auf der Klaviatur traditioneller Bildmetaphern. Allerlei geisterhafte Bilderscheinungen rufen Assoziationen mit den spiritistischen Anfängen der Fotografie hervor, die ihre Über- oder Unterbelichtungen und Unschärfen mit der Wahrnehmung unsichtbarer Kräfte erklärten. So fordert Berresheim auch die Veränderung bestehender Bild- und Raumwahrnehmungen heraus und beschränkt sich damit nicht auf die perfekte Simulation von Malerei, Fotografie etc. mittels des Computers.

Ever since large areas of our social and cultural life have been impaired by the global COVID-19 pandemic, an increasing number of online opportunities has sprung up when it comes to exhibition spaces, museums, galleries, fairs and, last but not least, the artists themselves. The call for digitalization also sets the tone for those agendas of action where the developments of the past decades have systematically been ignored. Now, all channels are open for transmission, so that “art” will not sink into oblivion. Virtual gallery tours display representations of artworks, educational programs and streamed openings – mostly accompanied by the mandatory reference to the indispensable nature of the aesthetic experience of the original. Frequently, “art as usual” is exhibited, be it within the sublime anonymity of a virtual white cube or in front of an inasmuch museal as contemplative backdrop, which is supposed to keep alive the desire for the “true” genius loci . Will this, however, substantially change the way in which art is dealt with? 

In the field of art, “the computer” is still a disturbance, i.e. a “Störgrösse”, of indeterminate environmental impact, a deviation which, even though perceived, nonetheless turned a blind eye to until the problem can be reduced to a more familiar solution. However the (not quite up to date) trends ranging from post-internet to post-photography have, as of yet, been breaking down the artistic positions into relations of an unspecific “digital present” and its preceding art history of painting, sculpture, photography, collage, etc. Criticizing art’s modernist fixation on material conditions, classes, genres, through rigid specificities of certain media, risks restricting image productions again within the logical barriers of an “as-if”. In that, painting, photography, collage, etc. however turn into descriptive categories who trace “new media” back to certain “archetypes” and overlook differences thereby. An art history of computer-generated art starting with the 1960s has by contrast not yet sufficiently been chronicled. 

Since the early 2000s, Tim Berresheim has been one of the driving forces behind computer-based art on an international level. Through his digitally generated models of current visual cultures, with all their hybrid elements to be found in art and image history, he tries to explore immanent creative leeway, meanings and possibilities for a future artistic practice. In keeping with the current state of the art and what is technically feasible, he is always after new pictorial inventions. His artistic research combines high-tech as well as DIY mentality which were already defining characteristics of the early computer art pioneers of the 1960s or of the Homebrew computer club. His artistic archeology of the present combs through the archives of that which is already in existence. In acquiring and transforming this material, he speculates on the material’s forward-looking potential. This way, artistic practice turns into a continuous process of learning. In dealing with old media, new media’s qualities become visible, which Marshall McLuhan had as well been aware of. 

Yet Berresheim’s use of laser scanners in his very complex image compositions sheds an altered light on the literal meaning of photography– in the sense of a drawing with light. Instead of catering to the aesthetic of laser scanner or computer graphics as media per se, his works facilitate reflections of the symbolic inventory of art’s historical traditions. These traditions still shape the present perception and their inherent disturbances leave speculative leeway for systematic development. While photography, analog as well as digital, always needs an unspecified amount of ambient light, shadow and image noise as well, the laser scanner aims at each and every particle in the room. A quantum leap, since waves and particles are crucial to the imaging process now. With the help of a computer, they can be as displayed as point clouds with pinpoint accuracy. In comparison with the scope of imaging given by diaphragm, length of exposure and white balance of the picture , this presents an enormous increase in level of detail and image control. In this, Berresheim does not strive for perfection, but renders it visible as a process of image production with all its, in turn, specific disturbances. Expanding the range of technical possibilities leads to the occurrence of a space in which one can work on traditional ways of seeing, conventions of representation and descriptions. Through his frequently recurring motives, Berresheim plays with traditional visual metaphors. All kinds of ghostly appearances evoke associations with the spiritualist origins of photography which explain its over- or underexposure by perception of invisible powers. Berresheim also calls for a change in existing perceptions of image and space, and, in doing so, does not limit himself to the perfect simulation of painting, photography etc. by means of a computer.

Thorsten Schneider
Translation: Angela Diete

Tim Berresheim
geboren 1975 in Heinsberg
lebt und arbeitet in Aachen

Ausbildung
1998 bis 2000 Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (Johannes Brus)
2000 bis 2002 Kunstakademie Düsseldorf (Albert Oehlen)

Sammlungen (Auswahl)
Die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland
MoMA Collection, New York
Frederick R. Weisman Art Foundation, Los Angeles
Adrastus Collection, Ávila
Peter und Irene Ludwig Stiftung, Aachen
Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Nationalbank AG, Essen
Kunstmuseum Stuttgart, Stuttgart
Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
Kunstmuseum Celle (Sammlung Robert Simon), Celle
Fördersammlung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft, Aachen

Einzelausstellungen (Auswahl)

2020
„Aus alter Wurzel Neue Kraft
Teil 3“ –  Mehrere Ausstellungsorte,
Wassenberg und Heinsberg
„Störgrösse (AAWNK)“ – Galerie
Falko Alexander, Köln
„Das Auge im Neuen einüben (AAWNK)“ – Galerie Reinhard Hauff

2019
„Aus alter Wurzel Neue Kraft. From
Los Angeles to Bad Aachen“ – Die
Kabine, Aachen
„Sleep Walk“ – Ruttkowski;68, Paris
„Tim Berresheim. works 2007-2019“ – Office Reiner Opoku, Berlin

2018
„Harry Rag” – Gallery Belmacz, London
„Smashin´ Time II” – Kunst Raum Riehen, Riehen
„Suspension of Disbelief“ – Neuer Aachener Kunstverein, Aachen

2017
„Smashin´ Time” – Kunst & Denker Contemporary, Düsseldorf
„Auf der Pirsch” – Galerie Reinhard Hauff, Stuttgart

2016
„Aus alter Wurzel Neue Kraft” – Meliksetian Briggs, Los Angeles

2015
„Tim Berreheim. 2003-2015” – Ludwig Forum, Aachen

2014
„Auge und Welt” – Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

2012
„Tarnen & Täuschen – too long;didn“t read SOS” – Galerie Thomas Flor, Berlin

2011
„Tropical Dancer (seeing is believing) 2007–2011” – Cardi Black Box, Mailand
„Pondering W.T.F. (No methodology)” – Kunstverein Leverkusen im Schloss Morsbroich, Leverkusen

2010
„Future Gipsy Antifolklore What?!” – Marc Jancou Contemporary, New York
„Phoenix – The Guilty Pleasure” – Patrick Painter Inc., Los Angeles
„Radieschen und Erdnuss – eine gemeinsame Erklärung” – Kunsthalle Gießen, Gießen

2009
„CONDITION TIDINESS. RUDE” – Patrick Painter Inc., Los Angeles

2008
„Scheuche (Mild)” – Marc Jancou Contemporary, New York
„Condition Platinum (Tidiness)” – Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln

2007
„Violett (Haar)” – Patrick Painter, Inc., Los Angeles

2004
„Don‘t call us piggy, call us cum” – Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2020
„sammlung mit losen enden 04“ – Kunsthaus Nordrhein-Westfalen Kornelimünster, Aachen

2019
„Lust der Täuschung – Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality“ – Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen
„It’s All Black and White – Contemporary Art from the Frederick R. Weisman Art Foundation“ – The Frederick R. Weisman Museum of Art at Pepperdine University, Malibu
“14. Triennale Kleinplastik Fellbach” – Alte Kelter, Fellbach

2018
„Black & White & IN BETWEEN. Contemporary Art from the Frederick R. Weisman Art Foundation” – Carnegie Art Museum, Oxnard „Die Macht der Vervielfältigung“ – Museu de Arte do Rio Grande do Sul, Porto Alegre„Becoming Animal” – Den Frie Udstillingsbygning, Copenhagen & Museet for Religiøs Kunst, Lemvig „Mixed Realities” – Kunstmuseum Stuttgart, Stuttgart
„Brisante Träume” – Die Kunst der Weltausstellung” – Marta, Herford

2015
„Better than de Kooning” – Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen, Esslingen

2014
„The New Romantics” – Eyebeam, New York

2013
„Dumb Rocks” – Gallery Belmacz, London
„Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21. Jahrhundert” – Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon, Celle

2012
„Alternative Entrance” – kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst, Nürnberg

2011
„Tim Berresheim & Matthias Schaufler“, Corbett vs. Dempsey, Chicago

2009
„St. Moritz Art Masters” – St. Moritz

2008
„Faces and Figures (Revisited)” – Marc Jancou Contemporary, New York
„Vertrautes Terrain. Aktuelle Kunst in & über Deutschland (Collectors’ Choice)” – ZKM l Museum für Neue Kunst, Karlsruhe

2007
„LEG SHOW” – Patrick Painter Inc., Los Angeles

2006
„Räume für Kunst” – Sammlung Grässlin, St. Georgen

2002
„Offene Haare, Offene Pferd. Amerikanische Kunst 1933-45” – Kölnischer Kunstverein, Köln

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